In der kleinen Hauptstadt geht das Leben an diesem Tag seinen gewohnten Lauf. Nur Jene, die bis weit in den Morgen das neue Jahr befeiert haben, lassen ihren Laden geschlossen oder starten mit der Arbeit am späteren Vormittag. Während der Marktplatz seine Frischwarengeschäfte bereits wieder einstellt und die Marktdamen aus den umliegenden Ortschaften anderen Aufgaben nachgehen. Durch die trockene Hitze auf schnurgerader Straße des flachen Umlandkessels zieht es uns zurück an den Tha Ngon. In den kleinen Dörfern sitzt die Jugend zusammen im Schatten und begrüßt mit einem ausgiebigen Picknick und Musik das frische Jahr. An vereinzelten Stellen ist das Nachbeben der gestrigen Fete noch zu vernehmen und offensichtlich. Zwei Damen begegnen uns lachend, von links nach rechts schwankend, sich gegenseitig stützend, um uns mit an den mit „Beer Lao“ befüllten Tisch zu lotsen. Wir lehnen dankend ab und schauen ihnen nach, wie sie langsam zu ihrer Gesellschaft abdriften. Die Fähre am Ende der Straße bringt uns auf das gegenüberliegende Flussufer, an dem wir etwas später, unterhalb eines Tempels, auf einer Weide mit mächtig imposanten Bäumen unser Zelt stellen, beim Abendessen dem Fährbetrieb zuschauen und der Musik des Fährmeisters, dessen Haus weit auf der anderen Seite steht, lauschen. Der erste Januar scheint ein gutes Geschäft für den guten Mann zu sein. Denn bis spät in die Nacht knattert kontinuierlich der laute Außenborder über das Gewässer hin und her. Gut zu wissen, dass unsere Oropax nach acht Monaten zumindest die oberen Schallspitzen abfangen, auch wenn sich das Modellieren in den Gehörkanal hinein zunehmend schwierig gestaltet.
Die Ration Schlaf ist ausreichend, es geht weiter entlang des Flusses. Über Acker und Weideland, durch Dörfer, in denen auf alten Webstühlen, Laotinnen farbenfroher, sehr feiner Handarbeit nachgehen. Vorbei an bunten buddhistischen Tempelanlagen, goldene Buddhas die über Baumwipfel entspannt Richtung Osten meditieren, bis zur Nationalstraße, die parallel zum Mekong das Vorankommen auf Asphalt deutlich beschleunigt. An einem Abzweig hinunter zum Wat Phonsane Tempel nutzen wir die Gelegenheit die Gebetsstätte zu besichtigen und auf dem Parkgelände davor zu bleiben. Zur Dämmerung sehen wir ein, dass es in Südostasien womöglich keinen Abend geben wird, an dem nicht aus zumindest einer der vier Himmelsrichtungen laute Musik für die regionale Nachbarschaft exportiert wird.
Auf einer überdachten Plattform wachen wir am kommenden Morgen auf, um gleich zu spüren, dass es mich wieder erwischt hat. Irgendetwas mit dem System Darm lahmt. Bis nachmittags geht es mir elendig komisch. Mühsam bringen wir es zwanzig Kilometer weiter zum nächsten Ort am Mekong, zum nächsten Tempel, wo es dem Magen-Darm plötzlich deutlich besser geht. Im Tempelgarten holen wir uns die Genehmigung bei einem zügig rauchenden, gefährlich tätowierten Mönch auf dem Rasen, der gleichzeitig Weide- und Spielplatz ist, zwischen Tempel und Mekong mit unserem Zeug zu rasten. Nach und nach verteilt sich das Equipment im Gras, das Zelt nimmt Form und Gestalt an und die kleinen Knirpse aus dem Dorf rufen uns laut lachend die laotischen Wörter für die verschiedenen Küchenutensilien zu, die wir aus den Taschen ziehen und auf unserem Stück Plastik aus der Türkei verteilen. Artig wiederholen wir in miserabler Aussprache die Wörter für: Teller, Reisdampfkorb, Essstäbchen, Banane und Topf, dann ziehe ich die Frisbee aus der Tasche und nach zahlreichen Probewürfen kann ich den giggelnden Haufen sich selbst überlassen.
Beim Abendessen gesellt sich ein schätzungsweise 11 Jahre junger Mönch, ruhig mit zurückhaltender Neugier, in orangenem Gewand zu uns. Schüchtern und etwas verlegen weicht er lächelnd unseren Blicken aus, hingegen mit offenem Blick, läd er uns zu ihm und den beiden anderen einzigen Mönchen des Tempels ein, sobald wir unser Abendessen beendet haben. Gerne nehmen wir das Angebot an, tief zufrieden lässt er uns zurück, bis ihn der Mondschatten der Bäume umhüllt.
Wirklich erklären können wir es uns nicht, doch beide sind wir etwas benommen, ein Stück Spiritualität, der herzlich junge, offene, erfahrene Blick, das wohle Gefühl der Zufriedenheit, das noch in der Luft steht, eine berührende Art und Bekanntschaft, starke Harmonie, konzentriert auf den Augenblick? Unser beider Blick geht zu den Sternen, die über Allen funkeln. Dann folgen wir gespannt der Einladung. Im Kies vor der Treppe zur überdachten Außenterrasse knirschen unsere Schritte und mit zwinkernder Geste werden wir hinaufgebeten. Der Boden ist gefliest und mit Teppich und Kissen versehen. Drei Türen führen zu den Privaträumen der Mönche, aus dem aus einem, lautes Schnarchen zu vernehmen ist. Buddha, Räucherkerzen, ein massiver eiserner Gong steht am Geländer und im Fernsehapparat läuft eine Tierdoku aus Schweden. Interessiert fragen wir, ob der Gong von ihm geschlagen wird. Kichernd zeigt er auf die Tür des Schnarchers und dann auf die große Uhr, dass wir uns noch etwas gedulden müssen, währenddessen er in verschiedenen Ablagen etwas zu suchen scheint. Nach erfolglosen Minuten taucht der tätowierte Mönch auf, der ohne zu suchen direkt den Schnarcher aus dem Schlaf hämmert und ebenfalls schmunzelnd nach der Fernbedienung verlangt. Kurze Zeit später sitzen wir mit den drei Geistlichen auf dem Teppich, naschen Süßigkeiten, verfolgen die Tierdoku, die nun mit Ton zu verstehen ist, was gleichzeitig das Ziel der Suche war. Der Gong schallert durch das Dorf und hinüber zum Fluss, dann switched das Programm auf den nächsten World Fight im Taiboxing. Auch wir schmunzeln mit, als die Zuschauer in Orange, bei den harten Schlägen, die einer der Kämpfer einsteckt, sich wegducken oder sich das Auge verkneifen.
Der Kasten wird mit dem Gong der letzten Runde geschlossen. Ein weiteres Packet Else Biskuits wird geöffnet und der tätowierte Mönch zückt sein Smartphone, um den Google – Translator herunterzuladen. Alle sind gespannt! Der Abend endet mit einigen Details der Radreise, einem neuen Facebook Like und der Geschichte des Tätowierten, circa 45-jährigen Mönches, der erst seit drei Jahren dem Orden beigetreten ist. Eine gute Nacht wünschend, steigen wir die Treppe mit einem großen Else Snack Packet und dankendem Winken hinunter zum Zelt.
Der dritte und letzte Tag entlang des breiten Stroms ist unglaublich heiß. In Paksan, einer größeren Ortschaft mit stationerem Markt, füllen wir unsere Essenstaschen und knuspern in Öl frittierte Bananen und Süßkartoffeln. Gleich danach ist Zeit für Mittagspause am Tempel, der etwas außerhalb gelegen, Ruhe, Schatten und eine leichte Luftbewegung verspricht. Mit der Hoffnung, erneut am Ufer der erfrischenden Grenzlinie zwischen Laos und Thailand zu nächtigen, wagen wir uns in die Nachmittagssonne und sind nicht überrascht, als auch an diesem Abend der buddhistische Garten ausgezeichneten Schlafkomfort verspricht. Zwei ältere Mönche pflegen hier ihren Glauben und einer von ihnen den Garten, den er, als wir ihn um Erlaubnis fragen, mit einer Gruppe Kinder um einen Papajabaum erweitert. Dusche, Toilette, direkter Zugang zum Ufer, wo gleich zusammen mit den Kids, die noch zuvor das neue Bäumchen gießen, ein Bad genommen wird. Als es Zeit wird die immer noch glühenden Körper im Inneren des Zelts auf die gut isolierenden Schlafmatten zu legen, setzt nicht unweit der Karaokeabend ein. Das Ende ist mit unserer Erfahrung jedoch entspannt vorauszusehen. Nicht aber der zeternde Mann der die ganze Nacht lautstark seinen Unmut zum Tempel hinüberruft, bis gegen 04:00 Uhr auch dem Gärtnermönch die Sache zu bunt wird und er beschwichtigend im Namen vieler um Ruhe bittet. Leider mit mäßigem Erfolg!
Das Frühstück, das ärgerlicherweise, über Nacht lebendig, Teil eines Ameisennests geworden war, fällt mit Kaffee und Bisquits sehr reduziert aus. So recht will der Tag nicht mit uns ins Reine kommen. Als Leonie bemerkt das der Hund, der uns gegen das Zelt gebrunst hat, gleichwohl eine Sandale auf dem riesigen Gelände versteckt hält, ist klar, heute verlassen wir den Mekong um ihn an anderer Stelle, in Kambodscha erneut zu sichten. Ein Schweiß-, Staubdreckgemisch sammelt sich erst an Armen, an Händen, bis es die Handinnenflächen und Lenkergriffe klebrig verbindet. Wir sind gut am saften und schütten eifrig warmes Plastikwasser in uns hinein, bis am Abzweig nach Osten die Melone und fließend Wasser den Refresher setzen. Der jedoch nur punktuell von Dauer ist, da erneut die Straße über hügeliges Gelände auf ein 800m hohes Plateau steigt. Zweimal halten wir am Bach, der im Tal Erfrischung verspricht. Beim zweiten Mal steht Zelt und Ausrüstung unweit der Straße an der ich heute eine Jogginghose finde, die verstaubt und verklebt im Strom gewaschen und mir in naher Zukunft einen dankbaren Dienst leisten wird. Es ist der letzte Abend, an dem ich mich mit meiner Verdauung auseinandersetze, bis der breiig flüssige Abgang mein seit drei Tagen bestehendes unwohl, mattes Gefühl beendet.
Am nächsten Tag treffen wir auf Jacque (65), der mit Rad und zwei Satteltaschen bepackt und einer offensichtlichen Vorfreude dem Norden Laos entgegenradelt. Entspannt und gemütlich macht er so achzig bis hundert Kilometer pro Tag. Er hat Spaß am Radfahren und wir mit ihm, wenn er uns erzählt, dass er so jedes Jahr vier bis fünf Monate auf dem Sattel sitzt.
Mit etwas Glück können wir mit zwei langsamen LKWs an den nächsten Kletterpassagen liften und genießen bejubelt von einer südkoreanischen Reisegruppe die herrliche Aussicht über die Felsformationen, die nun hinter uns liegen. Unerwartet weit vorangekommen, fällt die Entscheidung die kühle Quelle als Ausklang des Tages anzufahren, die irgendwo vor uns in der Ebene liegen soll. Auch zwei Mopeds mit vier Franzosen sind auf der Suche nach dem Spot, die wir sicher zum Ziel bringen, das unerwartet weit vor uns lag. Erfrischend und ansprechend ist der fast eisklare Naturteich, in dem wir, unter den Blicken französischer Zuschauer und laotischen Rangern baden und klatsch nass wieder aufs Rad steigen, da hier campieren verboten ist. Dann eben an einem anderen ruhigen Ort, was diesen Abend tatsächlich gelingt.
Das etwas wärmere Nass, des kleine Flusses, nach einem halben Tag radeln, als Markteinkäufe und eine längere Passage Staubpiste der massiveren Art hinter uns liegen, lassen uns aufatmen und den Sand aus den Haaren, Klamotten und Augenwinkeln schütteln. Die Pause im Schatten dehnt sich bis in den Abend und erweitert sich in den Morgen des nächsten Tages.
Staubig strampeln wir weiter, doch schon bald löst lehmiger festgepresster Boden diesen ab, der nach dem Hügelzenit in Asphalt übergeht. Eine gelungene Aufwertung. Sausend mit fröstelnder Gänsehaut, wenn der Fahrtwind das schweißgetränkte nasskalte, auf seine Art erfrischende Shirt in den heißen Nacken wirft, schießen wir durch die Ebene einer bizarren Seelandschaft. Die Gewässer zu allen Seiten sind gespickt mit toten Bäumen, die wie ein Wald schwarzer, nackter, in die Sonne ragender Gerippe den Blick von der Straße gattern. Die Sonne rückt an den höchsten Punkt des Tages, während wir bereits im Schatten unter einer Stelzenhütte dem Flimmern über dem Asphalt entgegenblinzeln und hächelnd an der Flasche hängen. Gut verpackt in Hemd, Hut und Handschuhe stellen wir uns am Nachmittag der Sonne und der Brise angenehmen Gegenwinds, nicht auszuhalten wenn der nun auch noch von hinten kommen würde und hitzigen Stillstand bedeuten würde. So wird der Gegenwind zum Freund und der Weg nach Nakay ein erträgliches Auf und Ab entlang des Ufers. An der Weggabelung am Ende der Ortschaft befindet sich die geschlossene Touristinfo und etwas weiter rechts ein überdachtes, schattenspendendes Dach. Hier fällt die Entscheidung die Möglichkeit einer Abkürzung, voraussichtliches Qualitätsniveau unbekannt, gemeinsamen Schätzungen zur Folge erwarten wir eine ähnliche Oberflächenbeschaffenheit wie einst in Nordlaos, aber ohne die Menge an Höhenmeter, Gesamtdistanz sind zudem nur 42km und davon erträgliche 13km auf vermutlich etwas schrofferem Gelände, auf gut Glück, wahrzunehmen. Wir biegen nach links ab, füllen unsere Wasservorräte für den Abend und bringen uns in der Nähe einer Siedlung, mäßig geschützt zwischen Zäunen, mit unserem zu Hause und dem Reisbedampfer in Position, um bei Sonnenaufgang entspannt in den Tag zu starten.
Bereits am gestrigen Abend waren wir auf guter Schotterpiste noch 6km weit hinter den Stadtrand gekommen. Heute am Dorfausgang wird der Schotter zunehmend sandiger und der einheimische Mopedverkehr in die gleiche, sowie in die Gegenrichtung stets weniger, bis er nach der letzten Ortschaft, die auch nicht mehr auf unseren Karten verzeichnet ist, vollends abebbt. Voller Spannungserwartung hüpfen und jucksen die Drahtesel dem Ufer des Sees mit Gefühl und Erfahrung entgegen. Der Weg wird zur ausgewaschenen Piste, dann zum Pfad, dann liegt er vor uns der See ohne erkennbar passierbaren Pfad oder Passiermittel. Erst kippt die Stimmung auf: „Och Nöö!“ dann erkunden wir die Wasserkante und lauschen konzentriert auf den See, den gerade ein Boot in entfernter Sichtweite befährt. Winkend, rufend, setzt es Pfiffe und doch knattert der Kahn durch die toten Baumstäbchen aus dem Blickfeld. Puh! Die Augenbrauen werfen über die Stirn Falten, dann sinkt der Kopf Richtung Brust.
Weit aus der Ferne bringt der Wind kaum hörbar, kleine Stücke einer großen Party, vielleicht drei, vier Kilometer oder etwas weiter entfernt von uns, über den ca. 300m breiten und damit schmalsten Abschnitt des Wassers hinüber. Am Ufer liegt totes Holz, aber kein lebendiger kleiner Kahn, was uns zurück auf die Karte blicken lässt, was zwei Optionen vertretbar für den angebrochenen Tag zur „Diskussion“ stellt. Wer glaubt wir würden 30km auf abartiger Strecke zurückfahren, was einem Bullenritt gleich kommt, den die/den ReiterIn konzentriert an den Hörnern geklammert lässt, während das Tier unaufhörlich durch Stock, Löcher und Steine vorwärts bricht, um später in all dem Frust, Nackenschmerzen und die Doppelverlustrechnung an Zeit und Strecke hinzunehmen, der/die weiß die Hunsrücker nicht einzuschätzen. „Stur“ wie die Ochsen reden wir uns ein, dass es womöglich einen Weg um einen der verzweigten Seearme entlang des dicht bewaldeten Ufers geben muss. Wir sind schließlich nicht die ersten Sturen in Laos und zudem liegt diese Vermutung nahe, da wir uns am Ende des langgezogenen Sees befinden und zweitens auf der anderen Seite Wasserbüffel grasend auf dem Festland auftauchen. Die Argumente greifen und wir machen uns auf eine zweistündige Suche mal mit Fahrrad, weil fahrbar, mal zu Fuß, um Aufwand und Energieverlust bei eventuellen Kletterpassagen mit Rad über umliegende Bäume vorzukalkulieren. Kleine Pfade gibt es zu Hauf um den Überblick zu behalten läuft das GPS heiß, immer weiter schlagen wir die Bogen, doch der See scheint entgegen der Karteninfos in keinster Weise ein Ende zu nehmen. Als wir entmutigt an der Stelle des Wassererstkontakts unser spätes Mittagsessen mit Blick auf die Büffel kauen, die Aktion/Idee der „Gewässer-Umfahrung“ gescheitert ist, steigt der Frust und die Sturheit uns – bin ich mal ehrlich – mir zu Kopf! Als zum zweiten Mal der Knatterkahn das Wasser in der Ferne auf seinem Rückweg bricht, setzen wir ein letztes mal 120% Energie frei. Springen, kreischen kurz vor Stimmverlust „Sabaai Dee“, schicken höllisch laute Pfiffe hinüber, doch der laotische Zweitakt-Außenborder leistet hervorragende Arbeit, Schallbarriere für herumfliegende Nebengeräusche inklusive. Tolle Wurst!
15:23Uhr, die dritte, letzte Option kommt zur Sprache. Ohne scherzende Mimik, versuche ich die 300m lange Wasserquerung klar und spontan durchdacht zu erläutern und zu verteidigen. 15:45Uhr drücken wir schwimmend das erste verzurrte Packet Radtaschen auf den mit Luft gefüllten Packsäcken über den gammelig duftenden Teich, durch Bäume und Geäst in Richtung Wasserbüffel. Packete mit Radtaschen sind das eine. Fahrräder, die nicht auf Tauchgang gehen sollen, das andere. Insgesamt schwimmt das Equipment fünf Mal hin und wir neun Mal hin und her, bis alles auf der anderen, sicheren Seite ist und die Büffel mit ihrem Hüter auf der für uns zurückliegenden Seite essen. Diese hatten uns während eines Radtransportes interessiert, ebenfalls schwimmend passiert. In unserem Erfolgsrausch lassen wir die Chance aus den Büffelwächter nach dem vor uns liegenden Weg zu fragen. Doch wer soll es uns verübeln, ist ja sonst keiner hier. Die neun Kilometer, die bis zur nächsten Ortschaft vor uns liegen, so guter Dinge sind wir, dürften großzügig geschätzt in 2 Stunden hinter uns liegen. Dann wären wir gegen 19:30Uhr bei später Dämmerung am Kochen.
Ehrlich gesagt, der Weg und das Vorankommen hatte dann rein nichts mit unserer Vorstellung zu tun. Die 100m Landzunge waren konzentriert fahrbar und ja, als Weg erkennbar, dann hätten wir besser die Räder an Ort und Stelle stehen lassen, aus einer Hinterradtasche Schnittschutzhose und Jacke anlegen sollen, die frisch geschärfte ein Meter lange, im Radrahmen integrierte Machete zur Hand nehmen und den Pfad vor uns von Mäusepfädchen auf Radweg verbreitern sollen. Das hätte uns zerschürfte Beine, knieabwärts bis zum Fußrücken, zerrissene Shirts, ein Kilogramm Spinnengewebe und vermutlich eine Stunde Äste knicken und Palmwedel umbrechen erspart. Aber dem war nicht. Es wäre auch nicht wirklich von belangen gewesen, denn gleichzeitig hätten wir eine 3,6PS starke, qualitativ hochwertige Kettensäge mit 1,5m langem Schwert benötigt und Treibstoff weit mehr, als die 1250ml die wir für unseren kleinen Spritkocher dabei haben, um die 37 querliegenden Bäume aus dem Weg zu schneiden, die wir ohne das genannte Equipment samt den Rädern und Gepäck übertragen oder unterrobben mussten. Zudem mehrere Tonnen Baumaterial, welches bevorzugt im Gebirgsstraßenbau benötigt wird um nicht vorhandene Wegabschnitte im Steilhang neu zu befestigen oder einfach und das hatten wir schlicht vermasselt, Energienahrung und 3 Liter mehr an Trinkwasser. Denn als wir nach 5 1/2 Stunden, erbärmlich erschöpft gerundete 4,6km weiter, auf einem der ultra seltenen Wegpassagen, die breit und lang genug waren um ein Zelt aufzustellen die Isomatten aufblasen, fallen wir mit staubtrockenem Mund und kuhrauer Zunge ins Schlafkoma um irgendwie den zerstörten schweißig stinkend und aufgeschürften Körper zu reaktivieren. In der Ferne ist zumindest ein etwas größeres Stück der Festmusik benommen zu registrieren, dann wird alles schwarz und still, nur der Wald lebt weiter, so fühlt es sich zumindest an.
Das Gute, am nächsten Morgen wachen wir beide auf! Es ist aber keine Überraschung, dass uns jeder Muskel deutlich mitteilt, ihn heute nicht zu benutzen. Gleichzeitig suchten wir nach Wasser, das wir in der Portion zweier Schnapsgläser für den heutigen Tag und die letzten 3,5km aufgehoben haben. Als Zelt und Matten verpackt sind genießen wir Tropfen um Tropfen und schlucken dabei eifrig Luft um das Gefühl einer ganzen Flasche kühlem benetzendem Nass zu illusionieren. Dann schieben wir die Räder unter Schmerzen in die nächste Wand grünen Urwaldes, die nicht preisgibt ob der Weg links, rechts oder mittig weiterverläuft. Der nächste Baum liegt bereits quer, 3,6km bis zum Ausgangsort der Festmusik, realistische 5-6 Stunden in unserer Verfassung! Immer noch geht es bergauf, dass wir oft gemeinsam eines der Räder schieben müssen. Ich denke zurück an den Dschungeltunnel und den Lichtkegel der Stirnlampe der vergangenen Nacht und bin froh die alte Jogginghose vom Straßenrand tragen zu können, die ich vor Tagen gefunden hatte. Etwas Beinschutz ist besser als kein Beinschutz, definitiv!
Im Gefälle zeigt der Pfad, der in seiner ganzen Länge sicherlich vor Jahrzehnten genutzt wurde, dass er auch ein ausgewaschenes, trockenes Sturzbachbett sein kann. Die Räder nun vor dem Sturz in die Tiefe sichernd, krakseln wir mit beiden Händen an den Bremsgriffen, das Fahrrad am äußersten linken oberen Rand behutsam vorwärtsrollend, während beide Füße im wüsten Gestrüpp am äußersten rechten Rand nach Halt suchen, langsam der Musik entgegen. Richtig lästig wird es immer dann, wenn sich wieder eine Schlinge aus dem grünen Bewuchs um Pedal, Kurbel oder eine andere ungeeignete Stelle wickelt und das Rad im Abwärtsdrang abrupt und unkontrolliert zum Halten bringt. Zwei Stunden und knapp zwei Kilometer weiter, fällt der Blick auf das erste Zeichen, das hier vor nicht zu langer Zeit Fußgängerbetrieb stattgefunden haben muss. Die frische Plastiktüte ist zwar nicht das Zeichen unserer Wahl, doch in der weltweiten Population deutlich häufiger, flächendeckender und vor allem vor dem Menschen anzutreffen, der aber nicht weit sein kann. Also Mut!
Vor uns der Erste Baum den wir umfahren können und Sägespäne aus dem letzten Jahr. Tatsächlich, der Pfad hat zwar trotzdem paar energieraubende Ecken, doch im Ganzen wächst er in die Breite und darf auf den letzten 800m zerfahrene Lehmpiste genannt werden. Überglücklich treffen wir an der Abzweigung auf einen Dorfladen, an dem zehn Bananen und eine Melone in unseren Besitz und anschließend den Magen übergehen. Eine Wasserpumpe kann nach einiger Zeit den Brand löschen und gleichzeitig Körper wie Kleidung waschen. Die Erleichterung ist groß, stur wie wir waren, würden wir das Gleiche nur mit geeigneter Ausrüstung empfehlen, welche zumindest in unseren Radtaschen nicht zu finden war. Erschöpft lecken wir unsere Wunden und nach einem kurzen Regenschauer verlassen wir den Urwald über Schotterwege, die uns genau wie den mit zehn Lautsprechern beladenen Klein-LKW und die gähnende Hochzeitsgesellschaft auf die asphaltierte Nationalstraße Nr.12 zurückbringen.
Die Geschwindigkeit auf der kerzengeraden Straße ist atemberaubend. Aus den Häusern der durchfahrenen Dörfer hechtet den Rädern das Echo der „Sabaai Dee“ rufenden Kinder hinterher, langsam trocknen die saftenden Schürfwunden entlang der Schienbeinkante und am Nachmittag erreichen wir Ban Nongchan, die letzte Ortschaft vor der vietnamesischen Grenze. Ausgehungert und erneut duftender Magnet für viele Mücken, tanken wir neue Kraft in einem Straßenlokal, vor dem der Besitzer einen geschossenen Flughund mit einem großen Bunsenbrenner enthaart. Besichtigen den Markt und lassen uns im Schatten der Bäume, etwas außerhalb der Ortschaft mit einer großen aufpeppel Pep-sie-Falsche nieder. Mit reichlich Proviant, Karamelkeksen, frittiertem Teig, Kokosnussmilch und Schoko-Doppelkeksen, sitzen wir für die letzten Anstiege zur Grenze auf und verlassen um die Mittagszeit, das Land der herzlich und lachend grüßenden Menschen