Türkei

Erzurum – Bazargan (07.07.-11.07.)

Mittags raus aus Erzurum mit den iranischen Visa im Pass und mit schwindender Hoffnung, dass unser Päckchen aus dem Hunsrück uns in Agri einholen wird. Anfangs sah es so gut aus, 5 Tage von zu Hause bis an die türkische Grenze zur Übergabe, seit dem hängt es dort und kommt keinen Meter weiter. Infos seitens der türkischen Post sind wage und pendeln sich zwischen 7 bis 14 Tagen ein. Mit ein paar Funken Hoffnung nächtigen wir auf brachliegendem Acker, während links und rechts von uns dicke Gewitterwolken fantastische Bilder zaubern. Wie frisch es doch außerhalb von besiedeltem Gebiet ist.

Morgens geht es vom Hügel abseits der Straße zurück auf die Piste. Meine Erinnerung an diesen Tag schwebt in der Hoffnung, dass uns jeden Moment das Postauto mit heiß begehrtem Reiseequipment passiert und unser geschmiedeter Plan aufgeht! Die nervöse Spannung begleitet zumindest mich und so muss Leonie die Einzelheiten des Tages aus ihrer Sicht zwei Wochen später in Erinnerung rufen! Der Tag beginnt wolkenbedeckt und angenehm, noch vormittags ändert sich der Charakter in trockene Hitze. Am Boden der Wasserflaschen schwanken nur noch zwei, drei Schlücke warme Plastikbrühe, als wir hinter einem Gebirgskettendurchbruch ein kleines Dorf mit Moschee inklusive Brunnen erreichen, rät uns der Einheimische vom Verzehr des Wassers ab. In 10km sei das Wasser wieder genießbar, ohne zu erwähnen, dass es bergauf geht. Wir sind so blöd, radeln in der Hitze weiter und müssen nach 2km im Schatten pausieren, da Hunger und Körperkühlung nach Schatten zum Picknicken rufen. Einige Zeit später geht es im Tal parallel zum Bachlauf, mit schmackhaft brauner Farbe weiter. Den Brunnen nach gefühlter Ewigkeit übersehe ich dann, Leonie nicht, sie tankt auf und ich vom Durst getrieben spurte weiter Richtung nächstem Gipfel, an dem 4 iranische Trucker nahe einer Quelle parken und interessiert Kontakt aufnehmen. 15 Minuten später parkt eine verärgerte Leonie ihr Rad neben kühlen vollen PET-Flaschen, gleichzeitig besorgt, ob ich nicht getroffen von Wurfgeschossen neben der Straße liege. Eine Angst die seit Erzurum nach der Erzählung eines Radlers aus Basel immer unterschwellig präsent ist. Einzig den Abschnitt bis zur iranischen Grenze betrifft, uns aber nie treffen wird. Auf dem Altitude der Straße fängt es an zu regnen, kühles Nass tränkt uns und fröstelnd aber glücklich geht es zu unserem im Tal liegenden Spot, den wir aus der Ferne für gut befunden hatten. Auf einer gemähten Wiese, versteckt zwischen Hügeln, eine gute Wahl.

Mittags am nächsten Tag, kurz vor Agri überholt uns tatsächlich ein Posttransporter und lässt unsere Herzen höher schlagen! Als wir in der Bank, die wir als Adresse angegeben hatten, herzlich unterstützt werden, jedoch kein Päckchen entgegennehmen können, wage ich den letzten Versuch in der Postzentrale im Zentrum von Agri. Doch nach 45min Googletranslate muss ich einsehen, dass wir ohne Päckchen weiterfahren. Welch ein Schmerz! In der Hitze geht es in den Nachmittag und an einer Tanke ca. 20km hinter Agri versacken wir bei Chai und lassen uns von den kurdischen Jungs mental wieder aufbauen. Im Schatten des Vordachs, sitzen Berat, Fesih, Yusuf, Beq, Seyat und Turat geduldig wartend auf den Sonnenuntergang. Wir erfragen die Basics in Kurdisch, versuchen auf Basisenglisch unsere Reise zu erläutern und werden eingeladen unser Zelt hinter der Tanke aufzustellen. Gesagt getan. Am nächsten Morgen stehen wir früh auf, kommen aber nicht früh los, da zufällig ein kurdischer Holländer auf exzellentem Englisch die ganze Story nochmals im Auftrag des Tankwarts erfragt und gleichzeitig übersetzt.

Auf der Straße schmelzen wir dahin. Erschlafft und angestrengt zu gleich balanciert die Konzentration das Reiserad, bis sich plötzlich der Blick auf Türkeis höchsten Berg öffnet. Der Ararat ebenfalls in der Sommerhitze dahinschmelzend ragt er mit seiner weißen Mütze bei 5137m über alle anderen Berge hinweg. Ein letztes Mal versteckt er sich beim Anstieg unseres letzten türkischen Passes hinter dessen Kam, dann picknicken wir zu dritt in 50km Entfernung unter dem schnell wandernden Schatten eines Sendemasts. Fünfmal ziehen wir die Plane auf der wir sitzen dem Schatten hinterher, dann brausen wir staunend voller Respekt dem naturellen Monument entgegen und erreichen gegen Nachmittag das Hotel Erzurum in Dogubayazit, in dem wir günstig aber nicht geruchsneutral bei quälender Hitze mit aufgelegten nasskalten Handtüchern irgendwann einschlafen. Was zwischen Ankunft und Schlaf geschah: Nachdem alles verräumt im ca. 7m² Zimmer seinen Platz gefunden hatte, folgen wir der Fußgängerzone Richtung Ishak Pasa Palace, die im Süden die Straße hoch auf den Berg verbindet. Entlang der Straße fragen wir im Büro Murat-Tours, nach der Bushaltestelle zum Gipfel, werden prompt zum Chai eingeladen und sollen einfach die Straße im Blick behalten. Erfahrungen werden ausgetauscht Hunsrück-Türkei, Kathmandu-Dogubayazit auf dem Rad, Everest Impressionen, Land und Leute um den Fünftausender. Als wir auf der Straße stehen ist es kurz vor Sonnenuntergang und nach paar Daumenhoch- Versuchen, bringt uns ein Lieferwagen, Anstelle eines Busses hoch auf den Hügel zum Palast. Oben bleiben uns ein paar Minuten zum Staunen, denn unser Lift talwärts, ein Souvenierverkäufer beläd gerade seinen Lieferwagen mit den letzten Postkartenständern und gibt uns knappe 10min Zeit, um selbst rechtzeitig beim Abendessen zu sitzen. Zurück vor Murats Büro treffen wir ihn wieder, er nimmt uns mit um die nächste Ecke auf einen Platz der vorbereitet für ein kollektives Abendessen in den letzten Zügen besetzt wird. Auch wir werden platziert und finden uns wieder an einem Tisch voller Iraner/innen, die uns in voller Freude willkommen heißen. Als der Muezzin über die Stadt zu hören ist, wird es still auf dem Platz jeder/jede eröffnet sein/ihr Abendessen. Mit dem Gefühl rasant geparkt worden zu sein, gleichzeitig die Fragen von 5 Tischnachbarn zu beantworten, in die Kamera von 3 Cellphones zu lächeln, fangen wir auch beherzt an zu essen. Afiyet olsun! Zwischenzeitlich taucht noch ein junger, aus Südost-China stammender Reisende auf, der in Deutschland studiert hat, und seit über 10 Jahren in Bremen arbeitet. Nach dem Essen trinken wir zusammen Chai, trödeln durch die belebten Gassen, in denen die Menschen ausgelassen feiern und von einer Köstlichkeit zur nächsten übergehen. Vor einem Geschäft, in dem wir für Leonie nach irantauglichen Oberteilen suchen, verlieren wir den etwas ängstlichen, auf Sauberkeit bedachten, mit dem Rucksack reisenden. Draußen treffen wir zum zweiten Mal auf Keivan Soleimany, seiner Passion nach: Leader (iran climbing tours) er läd uns ein, am nächsten Tag nach Mako zu seiner Familie zu kommen. Wir markieren die Adresse auf unserer Karte und unsere Aufregung für den morgigen Landeswechsel steigt zunehmend. Es ist spät! Wir müssen schlafen!

Am Rande des Ararats pedalieren wir in den Morgen, passieren 3 vollständig ausgebrannte LKW’s, zwei noch auf der Straße klutschend. Weit vor der Grenze erreichen wir das Ende der wartenden Truckerschlange, wir fühlen uns erinnert an die erste Nacht in der Türkei, da kommt uns plötzlich ein einzelner Radfahrer entgegen. Zwei Kilometer bevor wir die Türkei verlassen treffen wir den ersten türkischen Fernradreisenden. Soykan ist in Singapur gestartet, hat dort das Rad eines ankommenden Radreisenden gekauft und ist in 6 Monaten zurück in die Heimat geradelt. Wir und vor allem die türkischen Trucker sind bis ins letzte Eck am Staunen. Nach dem Austausch so mancher Erfahrungen, wünschen wir ihm gute Heimreise und rollen das letzte Stück zum Grenzposten, der uns den Ausreisestempel in den Pass drückt. Tesekkürler Türkei, Hoscakal!

Gerze – Erzurum (25.06. – 07.07.)

Zurück auf der Autobahnküstenstraße, die von Sinop bis zur georgischen Grenze, den Betonkontraststreifen zwischen Land und Wasser zieht, geht es mit Tempo, durch den kräftigen Rückenwind, in das 130km entfernte Samsun. Wir fliegen förmlich über den gebügelten Asphalt, hatten wir ebene Strecken doch lange Zeit nicht vor uns. In Bafra machen wir einen kurzen Besorgungsstopp, gepicknickt wird erst 15km später. Die Erzählungen über „dark religion people in this town“ hatten uns zu sehr beeindruckt, als dass wir mit gutem Gefühl, inmitten der Ramadan praktizierenden Menschen, üppig mampfen könnten. Die Gegend wird flacher die Städte gleichen sich, Planung und Städtebau können wir aus unserer Sicht schwer begreifen, an den Küstenboulevards gibt es meist einen Radweg und etwas Abwechslung,zur dreispurigen Durchgangsstraße. Der Abend verspricht einen Campingplatz am Meer, der sich wie folgt offenbart. Am Stadtrand gelegen, vor einem dicht bebauten Hügel, davor zwei aufgestockte Autobahntrassen, darunter Durchschnittsstraßen die durch eine gegossene Betonmauer von den davor liegenden Bahntrassen und einer noch im Bau befindlichen Zubringerstraße getrennt werden. Dann der Parkplatz des Camping, umzäunt und durch ein breites, schweres Rolltor befahrbar. Das dachten wir zunächst, doch der Parkplatz ist der Camping. Tolle Wurst! Dahinter eine Wakeboard-Anlage, ein Schwimmbad und die Hafenmauer die den Bereich umrandet. 15TL für alles inklusive WLAN, wir zelten unter kleinen Tannen, auf einem Stück Wiese: doch nicht so übel wie beim ersten Blick vermutet. Kurios an diesem Abend, die zwei älteren Paare aus Holland, die mit ihren VW-Bussen nach Kirgistan unterwegs sind; der Berliner Deutschtürke, der seit 3 Monaten den Campingplatzwart beim Einchecken neuer Gäste unterstützt; Mato, der vom Bodensee gestartet, durch die Ukraine über Russland, die Nordroute der Mongolei, den Rückweg über den Pamirhighway gefahren und eben über Georgien an der Schwarzmeerküste entlang, halb durchnässt auf seinem Motorbike ankommt und selbst verblüfft ist, wie viele Radfahrer über den Pamir radeln: „mein lieber Scholli“ sein Statement zu getroffenen Reisenden und deren Equipment! Noch kurioser wird der Abend allerdings für Ümit gewesen sein. Im tiefen Bayern, mit türkischen Wurzeln aufgewachsen und seit 3 Jahren Besitzer des Familien Hotels in Hausa, in der Nähe von Ankara, ist er bemüht bei jeder Gelegenheit im Gespräch zu bleiben. Sei es mit seiner Pitbulldame, flachen Witzen, seinem Auto, gefahrenen Motorradkilometern oder der sich im Bau befindenden Goldgrube eines Rehaparks der direkt gegenüber seiner Pansion gehn Himmel wächst und mächtig Gäste verspricht. Der Alkohol trägt ihn dann spät ins Bett und auch wir gehen schlafen. Als die Räder und Gepäck weiter rollen, sind alle anderen Reisenden bereits unterwegs.

An diesem Tag treffen wir einen 68-jährigen Karlsruher, der uns auf seinem Heimweg aus Georgien entgegenkommt und gegen Mittag passieren wir ein belgisches Päärchen die sich Bankok zum Ziel gesetzt haben. Langsam wird es landeinwärts wieder hügeliger, sogar Tunnel von bis zu 1500 Meter Länge sind Teil der Tagesroute, sonst ist die Unterhaltungsqualität der Umgebung dürftig. In Fatsa warten im Innenhof eines Hochhauskomplexes Murats Kinder auf uns. Seine Tochter (18) spricht hervorragend Englisch und empfängt uns zusammen mit ihrem kleinen Bruder. Nach der Dusche, sollen wir es uns im Wohnzimmer bequem machen. Abwechselnd läuft im Hintergrund englisch sprachiges Fernsehen: mal FOX News, mal der Discovery Channel. Murat erbeutet/arbeitet als Investmentbanker und wirkt auf uns hyperaktiv sportlich. Als er von seinem Job nach Hause kommt, erzählt er uns über seine letzte Tour durch den Balkan und Europa mit durchschnittlichen Tagesetappen von meist 200km Länge, bis ihm der Arsch und die Finger taub wurden. Von seinem Traum, mit dem Rad zum Basecamp des Mount Everest zu radeln, seinen Trainingsvorbereitungen für den Ironmen und natürlich bekommen wir all seine Räder gezeigt, die einen extra Raum im Appartment einnehmen. Abends gibt es extrem leckere hausgemachte Küche und später Eiscreme! Hmm! Wir müssen wirklich zerstört und müde ausgesehen haben, da uns die Familie die Betten bereitet, und uns anbietet, zu Bett zu gehen, um morgen fit in den Tag zu starten. Nach Frühstück mit Pommes und Ketchup, begleiten uns Murat und sein Sohn durch die Stadt. Zusammen erreichen wir gerade noch den Becker, dann ist Schluss für die beiden, da das Vorderrad des Sprößlings einen Platten hat.

Entspannt fahren wir an diesem Tag die Landschleife von Fatsa nach Ordu, genießen die kleinere Straße und das Grün um uns. Am Strand kurz vor Ordu steuern wir eine campingplatzähnliche Einrichtung an, diese entpuppt sich als Bungalowanlage, nach kurzer Tuchfühlung, bietet uns der Platzwart zwischen Strand und den ersten Hütten unter Bäumen an kostenlos zu campieren. Perfekt! Wirklich! Es ist erst nach Mittag, Zeit zum Entspannen, Einkaufen, Schwimmen, Duschen, Kirschen essen und immer noch ist es hell. Nach reichlich Wasserspatzen mit Menemen, insgesamt beinhaltet unser Abendessen knappe 10 Eier, hatten wir uns gerade auf die Liegen am Strand abgelegt, um etwas befreiter zu atmen, da bringt uns Bungalow Nr. 4 & 5 reichlich Nachschlag, bestehend aus Reis mit Hühnchen, Bohnengemüse und Geschnezeltem in Gemüse! „Hui mein lieber Scholli“ geht’s uns von den Lippen, unser Mittagessen für den nächsten Tag ist gesichert. Die Führsorge aus Bungalow 4 & 5 geht dann nachts so weit, dass wir während eines über uns hinwegziehenden Gewitters 3 mal aus dem Schlaf gebeten werden, hinein in ihre vier Wände zu kommen, da das Gewitter noch an Intensität zunehmen würde. Mit gefalteten Händen beteuern wir, dass das Wetter für uns kein Problem darstellt! Irgendwann glauben sie uns.

Am nächsten Tag ist von dem Unwetter erst wieder etwas zu spüren als wir kurz hinter Giresun nach Süden dem Bachlauf Richtung Dereli folgen. Es regnet bereits als wir ins Tal hineinfahren und gute 5km später sind wir heilfroh unter einem Wellblechdach eines Restaurants Schutz gefunden zu haben. Etwa 20min kann man sich auf Grund von prasselndem Regen der in Hagel übergeht, Wind und Gischt, nur sehr eingeschränkt unterhalten, den Fahrstil der Türken beeinflusst dies nur gering. Als sich der Regen auf das Niveau eines kräftigen Sommerregens abschwächt, fahren wir weiter. Skeptisch ob wir im engen Tal eine Möglichkeit zum Zelten finden. Wir finden dann sogar einen trockenen Spot. Unter den überdachten Tischen des Außenbereichs eines Fischrestaurants erleben wir zwar nachts das Déjà-vue der gestrigen Nacht, aber auch hier werden wir zu allem eingeladen, bekommen das gesamte Fischmenü, samt Vor- und Nachspeise und natürlich Chai! Einfach verrückt, genau wie die Katze, die während wir in der warmen Gaststube essen, im Zelt deutliche Krallenspuren auf dem Innenzelt hinterlässt. Manche Dinge passieren einfach! Der nächste Tag ist schnell erzählt, bei dem ersten Schlechtwettertag seit gefühlten drei Monaten, geht es hoch hinauf nach Kümbet (2100 m), es ist knappe 10°C, es nieselt, die Sicht ist gleich Null, enttäuscht geht es, in warmer Schlechtwettermontur, über eine nach Westen führende Straße hinunter ins Tal, in dem wir durchnässt und ziemlich uneben/rumpelig schlafen. Halt! Hier der berechtigte Einschub von Leonie: Als wir an einem, auf der Straße stehenden Sperrschild der beschilderten Umleitung folgen, treffen uns für 4km heftige Schotterrampen von 15% Steigung und später entlang der Höhenlinien breiig, schmierige Schlammpisten, insgesamt 2 Stunden brauchen wir für 8km. Als wir den Grund für die Misere auf der im Tal verlaufenden geschmeidig ansteigenden Asphaltstraße ausmachen, haben wir Mühe unseren Zorn zurückzuhalten. Einzig ein kleiner Straßenbruch, den Fußgänger und Radfahrer locker passieren könnten, hat uns alle Energie und die letzten Körner gekostet. In Gedanken entladen wir unseren Frust an der Dame die uns überzeugend in die Rampen gewiesen hatte.

Als wir am Morgen des nächsten Tages erwachen, nieselt es zwar nicht mehr, der Nebel hängt jedoch tief und dicht im Umkreis von 50 Metern um das Zelt und richtige Aufbruchstimmung will nicht aufkommen. Komisch, uns beiden ist den ganzen Tag flau im Magen. Die Beine sind gleich Pudding, ohne Appetit und Energie quälen wir uns mittags aus dem Zelt und im Schneckentempo zirkeln wir schwitzend leichte Steigungen Richtung Pass empor, der ca. 6km entfernt liegt. Die Anstrengung lenkt von dem eigenen miserablen Zustand ab und als die Nebelgrenze durchbrochen ist und die ersten Sonnenstrahlen den Blick auf den Pass freigeben, erhoffen wir uns am Scheitelpunkt eine grandiose Aussicht. Es dauert noch eine weitere Stunde bis wir den Punkt erreichen, zu spät! Im nasskalten Wind, kauern wir, verpackt in Jacken an der noch zuvor von der Sonne aufgeheitzten Hauswand, in der Hoffnung, den Blick von Oben zu genießen. Nach einer halben Stunde geben wir auf. Rasant geht es bergab und schnell liegt der Nebel über uns und der Blick ins Tal wird frei. Wir beide spüren, mehr als die 30km, die wir heute gefahren sind, ist nicht drin. Der Tag endet auf einer sonnigen Kuhweide, mit umfangreichem Blick über das gegenüberliegende Dorf und die Berge, die anmutig gen Himmel wachsen. Um 18:45 liegen wir beide in den Schlafsäcken und fallen in tiefen Schlaf, bis uns am Morgen die Herde Kühe auf deren Wiese wecken.

Beim Frühstücken, ist die Neugier der zwei Herdenwächter und einer Bergkräutersammlerin groß. Erst das Zelt und darauf die Frühstückenden werden lächelnd begrüßt. Einige Zeit gesellt er sich dann zu uns auf den Stein und wir unterhalten uns respektvoll schweigend. Mit frisch duftenden Bergblümchen, der herzigen Dame, der wir noch hoch oben im Steilhang winken, geht es weiter. Einen Kilometer rollen wir noch in Begleitung der Schwerkraft, bis die Straße links abzweigt und wir der D040 folgen. Kontrastwetter! Die Sonne steht alleine am Himmel es ist im Vergleich zu den Tagen zuvor 20 Grad heißer. Die Straße steigt stetig, unter Hügelwellen bis kurz vor Alucra, im weiten, offenen hoch gelegenen Tal. Trinkwasser finden wir meist an den ca. 5 bis 10 Kilometer auseinanderliegenden Brunnen, die stets als Abkühlung genutzt werden. An einem dieser Brunnen, es ist bereits Mittag, wartet Osman ein Truckerfahrer, der Zement durch das Umland fährt, mit kühler Fanta und zwei ordentlichen Portionen Waffelkeksen auf uns. Im Schatten genießen wir die Zuckerladung und verweilen zusammen auf seinen Sitzkissen. Als er weiterfährt, schenkt er uns zwei Gebetskettchen und brummt hupend in unserer Richtung davon. Kurz vor Alucra hält Osman auf dem Rückweg ein zweites Mal. Leonie, die ihren Toilettengang abseits der Straße gerade beendet hat, überreicht er eine kleine Talisfrau. In der Stadt selbst, sind Radreisende eine willkommene Abwechslung zum Ramadanalltag und gleich bilden sich kleine Grüppchen um uns, die ersten checken die Herkunft und unsere Namen dann drängen die nach vorne die gebrochenes Englisch, Deutsch oder Französisch sprechen. Die Einladung zum Chai im Schatten eines Hinterhofcafés nehmen wir gerne an, der ältere Herr arbeitet als Landwirt etwa 20km entfernt von hier und war in den 60iger Jahren als Gastarbeiter in Orleans. Die Gäste um ihn staunen über seine Sprachkenntnisse und er genießt die Stimmung und Unterhaltung. Nach einem Picknick außerhalb der Stadt im grünen Seitenstreifen und gesendeten Geburtstagsgrüße zu meiner Mama, setzen wir zum Strecke machen an. Am Abend erreichen wir Şiran, mit einer zehnköpfigen Fahrradgang im Alter von 8 bis 15 Jahren fahren wir ins Zentrum, kaufen die restlichen Zutaten und etwas Brot für das morgige Frühstück und werden bis zum Ortsausgang begleitet. Auf einem Hügel 7km später schlagen wir unter diskutierenden und scherzenden Blicken, der auf Fahrrädern sitzenden Dorfkids unser Lager auf. Es dämmert bereits und wir sind uns sicher, gleich müssen alle zum Essen nach Hause und wir können in Ruhe kochen. Genau so kommt es! Im prallen Vollmond, werfen wir beim Zähneputzen lange Schatten und gehen zu Bett.

Der nächste Tag verspricht schon am Morgen noch heißer zu werden. Also bleiben wir den Brunnen treu und Picknicken über die Mittags- und Nachmittagshitze ausgiebig im Schatten. Doch selbst als wir am späten Nachmittag den Versuch starten weiter zu fahren, müssen wir trotz zuvor eiskalt getränkter Kopftücher, Trikots und Armlinge, kurz hinter Köse eine weiter Stunde im Schatten rasten! Puh bereits hier flimmert die Straße genau wie die ersten Panikschübe, wenn wir an die uns bevorstehende Zeit im Iran denken. Der zweite Versuch gelingt dann. Über wunderschöne Abendlandschaft und ein kleines Sträßchen gelangen wir in eine Straßenbaustelle, hier wird grober Kies auf zuvor aufgesprühten Teer aufgebracht und leicht angewalzt, die Restverdichtung erledigt in der Regel der Schwerlastverkehr. Das spüren wir auf den nächsten Kilometern, da die Räder enorme Vibrationen ertragen: eine Hinterradspeiche reißt, eine Schraube zur Befestigung des Schutzblech löst sich und Split kommt uns mit Highspeed entgegengeschossen, immer wenn uns Verkehr passiert. In einem kleinen Dorf wagen wir den Versuch nach einem Markt zu fragen, dieser verkauft zumindest Trockenwaren und als wir nach Milch fragen, bringt uns ein Landwirt eine 2,5 Liter Fantaflasche mit noch warmer Kuhmilch. Es wird noch ein wenig geplauscht, während der Duschsack mit Wasser an der Moschee gefüllt wird, dann geht‘s weiter, ohne dass wir etwas zahlen durften! Unglaublich!

Am nächsten Morgen verlassen wir in aller Eile unseren Schlafplatz, denn wie am Abend zuvor ist die Population von Stechern enorm und wir wollen in Ruhe frühstücken. Das tun wir dann auch, denn der Himmel bleibt bis zum Mittag wolkenverhangen. Es gibt in Bananenmatsch quellende Haferflocken mit Trockenfrüchten und Mandeln, Pide vom Vortag, Marmelade, Honig und mit der restlichen Milch kochen wir Polenta auf. Echt lecker! Vater und Sohn die über die Herde Kühe wachen, die auf der Straßenseite gegenüber grast, gesellen sich für einen Moment zu uns, bis die Herde zu sehr in die Breite zerläuft. Dann rufen und später laufen auch sie den weit im Osten kauenden Kühen hinterher. Mittags in Bayburt rasten wir in einer Bäckerei, in der wir zwei, frisch aus dem Ofen kommenden Pide, kaufen und der meditativen Arbeit der Pidekneter und der heißen Arbeit des Pideschiebers interessiert folgen. Abartig, das die Jungs alle „oruc“ sind und keinen Schluck Wasser bis abends um acht trinken. Wir hingegen bekommen Melonenstückchen und Ayran serviert. Als die riesige Teigmaschine die nächste 50kg Portion Teig knetet ist Zeit fürs Mittagsgebet und wir radeln mit nasskaltgetränkten Klamotten in den Schatten vor dem letzten großen Anstieg vor Erzurum. Erst am Abend erreichen wir den Pass und kurz zuvor können wir an der Straße Wasserreserven und Dusche befüllen. Die Nacht schlafen wir auf 2400m über Null mit grandiosem Ausblick. Im Schatten von Zelt und Plane repariere ich morgens den Speichenbruch und nach erfrischender Abfahrt, schmelzen wir unter der Sonne dahin. Die Autobahn auf der wir fahren bietet keinen Schatten und keine Brunnen einzig eine Unterführung bewahrt uns mittags vor dem Kollaps. Auf der Plane im Dreck liegend, fragen wir uns, was wohl unsere Lieben auf dem Hunsrück, in Freiburg, Berlin, Mühlacker, Erlangen, Münster und all den anderen Orten machen? Nach Erzurum führt eine kerzengerade, zehn Kilometer lange Straße ins Zentrum. Man sieht das Ende schon von Beginn an, hat aber ständig das Gefühl man kommt diesem nicht näher. Die Einfahrt läuft perfekt, wir halten direkt vor der Touriinfo, fragen nach dem Hotel Asya und werden im Anschluss von einem Reporter abgelichtet, der einen Beitrag in der Zeitung bringen möchte.

Im Hotel Asya weis der Hotelier über unser Kommen Bescheid und ein Zimmer ist bereits reserviert. Das haben wir unserem Freund Nuri zu verdanken, der uns am Tag zuvor und am selben Tag auf der Autobahn einmal begegnet und beim zweiten Mal überholt. Beide Male hält er an und gibt uns auf gutem englisch zu verstehen, dass er sich um alles kümmert. Er ist, so schätzen wir ihn am Ende ein, Freundesammler, in der Tat, scheinbar hat er Freunde überall, nur zu Hause scheint er nicht den besten Umgang zu pflegen, das mag eventuell auch der Grund für sein häufiges Auftauchen vor unserem Zimmer sein. Wir machen das Beste draus! Für ihn und uns, relaxen für 3 Tage in vier Wänden regeln unglaublich viele Dinge, freuen uns mit unseren Familien, Nina & Andy, Simone und Moni beim Skypen und organisieren unser Visum für den Iran. Noch 10 Tage Ramadan dann ist es geschafft, die Stimmung in der Stadt, trifft es auf den Punkt, vor allem wenn es so heiß bleibt wie die Tage, was wohl der Fall ist. Aber da könnt IHR zu Hause ja mitreden! Jetzt nur noch unser Visum abholen, packen und weiter geht‘s. Liebe herzliche Grüße aus Erzurum Leonie und Philipp.

Istanbul – Gerze (13.06. – 25.06.)

Eines der besten Fernbusnetze hat die Türkei und als wir mit dem Rad auf den Otogar Istanbul auffahren, erstreckt sich ein Parkplatz so groß wie 6 Fußballfelder, dessen Seitenauslinien durch gefühlte 150 verschiedene Busunternehmen begrenzt wird, vor uns. Die populärsten Linien hatten wir uns aufgeschrieben, doch immer wenn wir unsere Räder zeigen, werden wir lächelnd darauf hingewiesen, dass gerade Ferienbeginn ist, zudem Wochenende und die Busse voll mit Waren und Mitbringsel aus Istanbul sind, die dieser Tage mit den Verwandten in alle Richtungen des Landes unterwegs sind. Wir schieben unsere Räder weiter entlang des Seitenaus, etwas nervös, ob der Absprung heute gelingt. Von allen Seiten hören wir die Busfahrer und Busbegleiter rufen: Ankara! Izmir! Ankara! Antalya! Trapzon! Wir erwidern dann Zonguldak! Und das Werben um uns erlischt. Mit etwas Hilfe von Reisenden und Reiseanbietern gelingt es dann: Abfahrt 15:00 inkl. Räder & Gepäck nach Zonguldak. Als es losgeht staunen wir über Komfort, Fahrerqualität, Stau vor der Bosporusbrücke und die Ecken Istanbuls, die wir nie zu Gesicht bekommen haben. Müde von der gestrigen Partynacht, mit 3 Stunden Schlaf (das wollte ich zumindest einmal ausprobieren), kommen wir nicht zur Ruhe. Aircraft-Comic Movie und die türkischen Fernsehsender geben mir dann den Rest und auf halber Strecke schlaf ich ein. Leonie hört zum ersten Mal seit der Reise Musik und döst mit angelehntem Kopf am Fenster. Alle Stunde werden kleine Snacks und Getränke gereicht, auf dem Sitzplatz vor uns werden zusätzlich Kakao und Reiscrispwaffeln gegessen, die im letzten Viertel der Strecke über den Sitz erbrochen werden. Pfui, aber kein Wunder die Straßen werden immer kurviger und gepaart mit Auf und Ab, fährt der Magen einer Dreijährigen gleichsam Achterbahn. In Kozlu (hier besteht kein Zusammenhang mit dem säuerlichen Geruch im Bus), kurz vor Zonguldak steigen wir aus. An der Haltestelle erwartet uns Ersin, der ehemalige Mitbewohner von Ceyhun, sein Auto steht bereit, um Taschen zu verladen und uns den Weg zu ihm auf den Berg zu zeigen. Ersin ist tagaktiv, das erwähnt er, um den Unterschied zu Istanbuler Partypeople zu verdeutlichen. Morgen finden Examensprüfungen an den Gymnasien statt, die er konzentriert beobachten wird. Es bleibt nicht viel Zeit um seine skeptischen Bedenken unserer Fahrradreise gegenüber zu lockern. Es wird gelacht, wir reden über seine Arbeit, über das Leben an der Schwarzmeerküste und die Strecke die vor uns liegt. „It will be so hard for you!“ Wenn wir Zeit haben, sollen wir weiter Richtung türkisch-georgische Grenze fahren und die Region Artvin besuchen. Ursprünglich stammt er aus der Volksgruppe der Las, die dort beheimatet ist. Am nächsten Morgen wünscht uns Ersin viel Glück und keine Probleme auf unserer Reise. Wir bedanken uns für Alles und starten um 08:15 in den ersten Tag an der Küste.

Nach so langer Zeit an ein- und demselben Ort, ist das Gefühl für das Fahrradfahren und die Leichtigkeit des unterwegs seins, wie in ferner Vergangenheit. An diesem Tag ist es heiß, die Hügel sind noch bezwingbar, trotz das uns die Beine an 15% Rampen krampfen, fahren wir ein beachtliches Stück und beschließen am frühen Abend einen Platz zum Zelten zu organisieren, um den ersten Tag auf uns wirken zu lassen und uns zu erholen. Auf dem Kamm eines Hügels, unweit von Sarmasik hören wir beim Vorbeifahren im Garten eine Gruppe sich unterhalten, mit der Idee nach Wasser zu fragen, ergibt sich spontan eine Einladung zum Essen, (Wasserspatzen mit Käsespinatfüllung) die dann in Marmelade gedippt werden. Super lecker! Wir können und sollen uns nicht zurückhalten. Eine witzige und liebe Gruppe sitzt hier jeden Tag im Garten und lässt es sich gut gehen, so wird uns von den beiden Niederrheinern Leyla und Talu erzählt, die einst nach Deutschland gingen, den Sommer aber gerne in der Türkei verbringen und uns ihren Verwandten und Freunden vorstellen. Spontan wird der Lenkanschlag am Gabelschaft repariert, im Anschluss gekocht und zusammen am Feuer gegessen. Wir schlafen vorzüglich bis die Sonne das Innenzelt erhitzt.

Über Hügel geht es zurück an die Küste, an der bis nach Gerze eine kontinuierliche schwach befahrene, schmale Straße auf und ab quer zu stets 600 Meter hohen Hügeln führt. Im Schnitt steigt oder fällt diese zwischen 10% bis 12%, ebene Passagen finden wir keine. Auf der Straße: Hitze, schweißgebadete Shirts an jedem Scheitelpunkt, weicher Teer mit Radprofilabdruck, uralte LKW’s die sich in Schrittgeschwindigkeit am Berg an uns vorbeiquetschen und im Gefälle wieder überholt werden, man kennt sich am Ende einer Tagesetappe, kleine Dörfer, Trinkwasserbrunnen, lange Mittagspausen und viele Trockenfrüchte mit Nüssen als Energiereserven. Am Strand einer kleinen Bucht, östlich von Amasra, bleiben wir. Das Zelt bleibt im Packsack, denn Regen ist keiner in Sicht, es gibt zwei Liegen für 5TL, Abendessen und am Morgen frühstücken wir im Schatten des Strandcafés, ehe der Tag knallhart bergauf zur Straße führt.

Die Natur legt nochmal an Grün zu und wir haben stets das Gefühl, enge, urwaldartige Täler mit tief braunen Bächen zu queren, über die kurze ebene Brücken führen. Also doch ebene Passagen! Ja stimmt, meist keine 70 Meter lang und sehr ramponiert, also echte Schwungbremser, wenn eigentlich auf der gegenüberliegen Seite in den nächsten Anstieg gerast werden möchte. Vor Cide kommt uns plötzlich ein entspannter Radfahrer entgegen. Er hält direkt auf uns zu, erst bin ich verwirrt, dann check auch ich, dass uns Ali auf dem Weg entgegengefahren ist und uns den Weg zu sich nach Hause begleiten wird. Die letzten 15 Kilometer summen an uns vorbei. Denn die Straße nach Cide von Westen nach Osten ist abschüssig und flach! Wir können uns beim Radeln sogar unterhalten. Ali wohnt alleine in einer riesigen Wohnung, mal schläft er in dem einen, mal in dem anderen Zimmer. Wir plaudern, trinken türkischen Kaffee mit ihm und seinem Freund Ersin, in einer fast geschlossenen Bucht, gehen am Strand schwimmen, danach duschen und Kochen zusammen das Abendessen, mit den restlichen Zutaten seiner Exfreundin, die noch im Kühlschrank stehen. Ali ist Deutsch- und Mathematiklehrer, er hat in Ankara studiert und ist nach dem Studium in Cide gelandet, da ihm die Bilder auf Google eine süße Stadt am Meer mit abwechslungsreicher Natur versprochen hatten und er prompt die Stadt als zweite Option angab. Zur Zeit trifft es genau das Bild, er versichert uns aber, wir hätten mächtig Glück, 3/4 des Jahres sei es hier trist, grau, windig, kalt und junge Menschen suche man vergeblich. Später sitzen wir noch in Ersins Wohnung im ersten Stock, trinken Chai und auch er bestätigt das Flair in Cide. Wir fühlen uns sehr wohl bei Ali, er ist unkompliziert, lässt uns allen Freiraum. Am nächsten Morgen werden wir eingeladen zum Frühstück mit seinen Kollegen im Garten seiner Schule, wir sind fasziniert und tauchen ein in das Schlaraffenland des Frühstücks! Köstlich, lecker, die Stimmung ist herzig, die Lehrerinnen beäugen uns, welche der Häppchen uns am besten schmecken, dann tuscheln sie und lachen. Die Schule wird gezeigt, Bilder werden geschossen, noch eine Woche sagt Ali dann sind die Nach- und Vorbereitungen abgeschlossen, dann geht es auch für ihn in den Urlaub, eine kleine Radtour im Westen der Türkei ist geplant, auf die er sich sehr freut. Am späten Nachmittag verabschieden wir uns mit Dank und vollen Lobes für die gemeinsame Zeit, 16km hinter Cide unter einem Kirschbaum. Bis hier hat uns Ali begleitet.

Winkend trennen sich unsere Wege und 25km später bereiten wir auf einem verlassenen Rastplatz unser Abendessen, auf dem Betondach der einstigen WC-Anlagen. Weil es im Hinterland blitzt und auf offener See dicke Wolken heranziehen, wird im Dunkeln dann doch das Zelt, bei aufbrausendem Wind, auf hartem, schiefem Steinboden, bei explosiver Laune meinerseits aufgestellt. Nach mäßigem Schlaf starten wir in den nächsten Tag, dem Beginn des Ramadan. Es wird eine Weile dauern, bis wir uns aklimatisiert haben, falls wir es überhaupt schaffen. In den Dörfern und Ortschaften entsteht der Eindruck, dass sich deutlich mehr Männer im Schatten der Kaffees mit Perlenkettchen ablenken als noch die Tage zuvor. In den Geschäften ist weniger Andrang und Schnellrestaurants sind größtenteils geschlossen. Hitze, Durst und Hunger, mittags picknicken wir ausgiebig und meiden dabei öffentliche Plätze. Als Abends das Zelt, halb offensichtlich 8 Meter entfernt von der Straße steht und wir gerade versteckt unsere Duschzeremonie beenden, hält ein Kleintransporter am Straßenrand, er setzt zurück, er steigt aus und als er mit Leonie sein fünftes, sechstes Bild machen möchte und er ihr permanent auf die Pelle rückt, fühlen wir uns zum ersten Mal auf der Reise für den Moment wirklich unwohl. Er lässt sich schließlich abwimmeln und fährt von Dannen. Als gegen 3:15 genau in Blickrichtung unseres Zeltlüfters, ein Auto hält, sich Türen öffnen und schließen, ist das Unbehagen wieder da. Erholung fühlt sich beim Frühstück anders an!

Gähnend starten wir in den Tag, zum Glück ist die Strecke heute flacheren Gemüts und wir kommen bis in den Mittag ein gutes Stück voran. Als die Straße rechts an einem Restaurant und einer am Strand stehenden Moschee vorbeiführt und unser Blick nach der Kurve weit in die Ferne reicht, gerate ich innerlich in Panik. Ohne lange zu zögern, wende ich, mit Blick Richtung Leo und der wieder vor uns liegenden Moschee. Auch Leonie hat die Situation begriffen, ca. 500 Meter hinter uns hetzen 8 bis 10 Hunde in unsere Richtung! Zu unserem Glück geht es leicht bergab und nach 200 Metern stehen wir unter Bäumen auf dem Parkplatz des Restaurants, gespannt ob gleich das Rudel über uns herfällt!? Als nach 20 Minuten nichts passiert beladen wir die Räder mit Steinen und einem Schlagstock um zumindest vorbereitet zu sein, falls sie auf uns lauern. Die nächsten 10km ist kein Hund mehr in Sicht, das vermeintliche Actionvideo in dem ich Leonie im Kampf gegen 10 blutrünstige Bestien verteidige läuft aber noch ein paar Mal in meinem Kopf und Gedanken rund. Leonie ist da entspannter. Kurze Zeit später schließt ein Texaner zu uns auf. Robert ist in Passau gestartet, hat seine Freundin in München zurückgelassen und ist auf dem Weg nach Georgien. Wir unterhalten uns ein paar Meilen, dann düst er davon. Es ist 17:00 Uhr und er möchte noch 70km fahren erklärt er uns. Puh denken wir beide, das müssen wir uns nicht geben, landen dann aber auch knappe 50km später, bei Regen auf einer traumhaften Bergwiese im Wald. Wir genießen die Einsamkeit, fernab einer Straße. Einzig das Piepsignal der rückwärtsfahrenden Baumaschinen, die hier die neue Autobahn mitten durch die Berge rammen, sind leise zu hören. Zwischen trocknender Wäsche und nasskalten Packtaschen gibt es ein heißes Abendessen, danach rein in den klammen Schlafsack und schlummern.

Der nächste Tag begleitet uns bei wechselhaftem Wetter entlang der Passstraße nach Erfelek. Hier rasten wir kurz in einer Bushaltestelle hinter der Ortschaft, da wir es für nicht angebracht halten, mitten auf dem Marktplatz zu picknicken. Über eine Querverbindung lassen wir Sinop links von uns liegen und über die neue Autobahn geht es hinauf und hinab nach Gerze. Ohne wirklich zu wissen wo Elif und Yalcin wohnen, irren wir die erste halbe Stunde am Stadtrand entlang, bis wir im Zentrum auf eine Mutter mit ihrem Sohn treffen. Die beiden wissen genau wo wir hin möchten und 5 Minuten später stehen wir bei den Beiden vor der dunkelroten Haustür. Isis, die Hauskatze muss ihr Zimmer räumen, welches wir beziehen und die Räder finden Platz im 2000m² großen Garten, der einem Urwald gleicht. Lorbeerbäume, Granatapfelsträucher, Maulbeeren, Feigenbäume, Mirabellen, Walnüsse und Weinreben um den groben Überblick zu geben. Es wuchert an jeder Ecke. Elif und Yalcin sind auf dem Papier verheiratet und träumen von einer alternativen Hochzeitsparty mit Vintage-Kostümen. Sie leben in einem alten denkmalgeschützten Haus, das sie vor 5 Monaten, mit Hilfe von Bensu und Yagiz angefangen haben zu renovieren. Aktuell ist das Erdgeschoss fertig und die erste Etage ist vorbereitet zur Renovierung. Ein Haus zum Wohlfühlen, ganz anders als die neuen Betonhaussilos, die ohne Flair und Stadtgeschichte an jeder Ecke 6- bis 12- stöckig die Stadtkultur zerstören. Bis spät in den Abend wird herzhaft gelacht, beide erzählen von ihrem Job als Lehrer, Elif unterrichtet türkische Literatur und Yalcin Philosophie. Beide amüsieren sich köstlich mit uns. Der Abend muss enden, als uns Elif für den nächsten Morgen beim Wanderverein in Gerze zur Sonntagswanderung anmeldet. Start um 08:00, reine Gehzeit 7 Stunden!

Der nächste Tag bringt traumhaftes Wetter und mit dem Speedbus geht es über massivste Offroadpisten in die Berge. Wir genießen die Eindrücke, jede Pause, besonders das Picknick, die Beine sind schwer und der Akku am Ende des Tages leer! Hinunter nach Gerze fahren viele Blümchen, Bergkräuter und Yalcins Naturskulptur. Vielen Dank für die Einladung in bergiges Umland und das Gefühl willkommen zu sein. Beim Abendessen sind wir zusammen 4 Deutsche, Elisabeth und Birk sind per Anhalter unterwegs, beide bereisen die türkischen Gebirge, studieren in Halle Philosophie und auf Grund des Erasmussemesters spricht Elisabeth, nach unserem Empfinden gutes Alltagstürkisch.

Früh gehen alle zu Bett, morgen ist Montag, wir alle wollen im Garten fleißig helfen! Nach ausgiebigem Frühstück geht es los. Es ist 11:00 Uhr die Sonne steht ohne Wolke am Himmel. Es wird aufgeräumt, Erdarbeiten mit Spitzhacke und Schaufel für die Jungs, eine Trockenmauer wird begonnen, Leonie kämpft sich mit der Motorsense durch den Garten. Stets werden die Arbeiten aus der Nachbarschaft beäugt und durch vorbeigehende Fußgänger kommentiert, wie soll es auch anders sein. Als wir aus dem Hafen von Gerze zurückkommen, waren wir zusammen schwimmen, im Sokak Strandcafé Chai trinken und alles Notwendige für einen Abend mit reichlich Pizza einkaufen, der in großer Runde mit neun Leuten bis in den späten Abend zelebriert wird.

Zur Mittagszeit des nächsten Tages, sind Elisabeth und Birk zusammen mit unserer Pfanne und der Spülschüssel auf dem Weg nach Westen und im Garten wird fortgesetzt, was begonnen wurde. Mit Blick aufs Schwarzmeer und die Küste vor Sinop, schlemmen wir abends im großen Kreis bei Gülnur, der Mutter von Yagiz, bis wir fast wie runde Kugeln nach Hause rollen. Da es zur geplanten Abreise in Gerze anfängt zu regnen, bleiben wir einen weiteren Tag, an dem die Ketten beider Räder gewechselt werden, der anstehende Urlaub von Elif und Yalcin diskutiert wird und wir die letzten Vorbereitungen treffen, um mit Elif und Yalcin am frühen Morgen des nächsten Tages, das Haus zu verlassen, da beide Termine haben. Gesagt getan. Zum Abschied kocht Yagiz am Abend ein vorzügliches Fischgericht, Leonie sorgt für Kaiserschmarrn und wieder einmal sitzen wir bis spät in die Nacht, erzählen und diskutieren. Als wir an der langen Straße links abbiegen, sehen wir die beiden noch winken! Wir haben uns so richtig wohl gefühlt bei herzlich offenen Menschen im Haus mit Urwald.

Istanbul (02.-13.06.)

Mit der Katamaran Fähre in 2 Stunden in das 170km entfernte Istanbul, wie im Flugzeug düsen wir über das Wasser, gespannt, etwas entspannt durch Ludwig, der ebenfalls mit Rad und Zeit unterwegs ist, gibt es erste konkrete Ratschläge. Dann landen wir in Yenicapi, dem europäischen Fernfährhafen Istanbuls. An einem Brunnen werden die Räder von ihrer Salzpatina befreit, wir nehmen den ersten Abschied, jeder organisiert sich seinen Weg durch die Sraßen und wir fahren los. Circa 15km liegen zwischen Ceyhun, seiner Wohnung im Bahçelievler Bezirk, in der Amelie auf uns wartet. Der Verkehr ist, siehe Zitat weiter unten, der Trick ist, nicht stressen lassen vom Hupen, den Abgasen und fantastischen Verkehrsregeln. Abseits der Hauptverkehrsadern wird es dann auch ruhiger und als wir an der kommunizierten Adresse ankommen sind wir leicht verwirrt, da dort kein Haus mehr steht. Es läuft dann in etwa so: ein junger Istanbuler ruft Ceyhun an (seiner Nummer haben wir zum Glück), wir haben unser Ziel um ganze 4km verfehlt. In grober Richtung wieder rein in die drängelnden Autoschlangen, wir fragen ein zweites Mal. Gleiche Taktik, ein Anruf, dann sollen wir ihm folgen, er ist schon im Auto um die Ecke, wir müssen kräftig strampeln um in Sichtweite zu bleiben, 10 min später sind wir am Ziel und werden herzlich lachend von Ceyhun und Amelie gedrückt. Nachdem wir unsere Räder und Gepäck plaziert und verräumt haben, spüren wir unser tiefes Loch im Magen. Obwohl die Beiden nicht hungrig sind begeiten sie uns von einer Leckerei zur Nächsten. Hmm lecker Cig Köfte, Dürüm und zu Hause gibt es Trilece, kühler milchgeträngter Kuchen mit Caramelüberzug! Unser Favorit was Dessert anbelangt, auch wenn es typische bosnisch ist.

Ceyhun (33) ist Aircraft-Ingenieur, er liebt das Paraglieding, das Nachtleben in Kadaköj mit seinen Freunden, wo sich die junge Szene trifft, die den größten Teil der Gesiproteste stellte. Gutes Essen und Alkohol, er ist viel unterwegs der Gute, was erklären soll, dass wir ihn die ersten fünf Tage nur selten gesehen haben. Die ersten Tage sind Leonie und ich in der Stadt unterwegs um auf den ansässigen Botschaften die zentralasiatischen Visa zu organisieren. An der usbekischen Botschaft treffen wir ebenfalls Radreisende. Am Tag des Antrags zwei Männer aus Polen, die genau wie wir den Ablauf und die Stimmung vor der Einlasstür nicht einschätzen können, dazu geschätzte fünfundzwanzig andere Leute die teils nervös oder gelangweilt in kleinen Schattenplätzen warten bis sich etwas tut. Dagegen war die Tadschikische Botschaft das glatte Gegenteil. Am Tag der usbekischen Visaerteilung, wieder Radreisende, diesmal zwei Frauen aus England und deutschsprechende Schweizer mit französischem Pass.

Ceyhun arbeitet, Amelie genießt die Stadt mit Ahmet, der Nachts als Ingenieur arbeitet und Ceyhuns bester Freund ist. Abends sind wir beide vollgepresst mit neuen Eindrücken, Vorhaben, leichten Ärgernissen über unkoordinierte Visaanträge und den Verlust einer von zwei Creditkarten, energetisch ausgebrannt und auf der Couch am Schimmeln. Wir genießen die Zeit bei Ceyhun, der mit drei Stunden Schlaf pro Tag-Nacht-Intervall deutlich mehr Energie parat hat als wir beide zusammen. Klar! Die Stadt ist nicht Radreise im Wesendlichen, aber ein erster Checkpoint! 10 Tage konnten wir bei Ceyhun bleiben, stets mit dem Gefühl zu Hause zu sein! Zeit genug um Beccy & Rob in der Stadt wieder zu sehen, mit ihnen unverschämt leckere Falafel mit Humus zu essen, um einen Tag Männer- und Fraueninteressen zu organisieren, um sich mit Amelie, Ahmet, Ceyhun, Omar und später mit der TecTec Pizza Gruppe zu treffen, um von Micha (Nick’s Papa) und Freiburgern Archäologen zum Bier eingeladen zu werden, Fischbrötchen an der Gallatabrücke zu essen, ihren Erlebnissen in Instanbul zu lauschen und zu lachen, um Ceyhun zum Essen einzuladen, was er ständig tut, um die Parlamentswahlen zu verfolgen und um am Ende der Stadt und den Menschen auf Wiedersehen zu sagen.

Letzte Nachricht, die den Verkehr beschreibt: Zitat

Hallo Fabio, Caro und Olivia, nach 10 Tagen in Istanbul bei Partypeople, die ich nur einmal begleitet habe, verlassen wir heute mit dem Fernbus die 20Millionenstadt! Die Vibrationen in der Stadt: Menschen, Verkehr, Geräuche, Gerüche, Temperatur, Gefühle wir waren nicht fähig all das auf ein Niveau unterhalb von einem Drogenrausch zu filltern😜 unglaublich der öffentliche Nahverkehr ausgelegt für gefühlte 6Millionen Menschen und fernab der Hauptwege Private Minibusse die rasant mit Hupe und Gaspedal aufgewachse zu sein scheinen. Uns hat es gefallen die vielen Kontraste die ersten Erfahrungen an einem Konsulat. Viele liebe Grüße aus dem Busbahnhof in Istanbul. Fühlt euch gedrückt und geherzt Leonie und Philipp!

 

 

Ipsala – Istanbul (28.05. – 02.06.) Teil II

Nach einem Tag in feiner Reihe hintereinander, mit langausgedehnter Mittagspause und kurzem Schläfchen, pitchen wir unsere Zelte auf frisch gemähtem Gras. Allen geht es gut, nur ich hab mit Heuschnupfen ausgedehnter Art zu kämpfen! Beim Abendessen werden die Themen intimer und es wird köstlich gelacht. Am nächsten Tag das gleiche Bild wie am Tag zuvor, ein letzter Anstieg vor dem Fährhafen in Bandirma, plaudernd rollen wir abwärts und dann passiert es: Leonies Rückspiegel verfängt sich in meinen Satteltaschen, das Rad will nach rechts, Leonie nach links, beide müssten sich nun trennen, die Zeit zu knapp zum reagieren und Rumps! Schleif! Kratz! Schmirgeln Körper und Equipment über Asphalt. Als alles zum Stehen kommt ist der Schock groß! Leonie entknotet Beine und Arme aus Rahmen und Gepäck, ich nähere mich mit wackligen Knien mit der Hoffnung, dass es schlimmer aussieht als es tatsächlich ist. Zusammen trösten wir die Schrammen an Knie, Hüfte und Ellbogen, Glück gehabt! Nichts Wildes.

Am Schalter der Fährgesellschaft IDO wird klar, wir fahren am Nachmittag des folgenden Tages nach Istanbul. In der Stadt können wir schlecht bleiben, entlang der Küste bieten sich mehr schlechte als rechte Plätze, in einer Senke mit flacher Bucht steht ein Haus mit riesigem Garten, nach Hand- und Fußgesprächen, gemischt mit den paar Wörtern türkisch, können wir zwischen Olivenbäumen campieren! Die letzte Nacht zusammen mit Beccy und Rob im Freien! So wunderschön, das wir sie getroffen und kennenlernen durften.

Ipsala – Istanbul (28.05. – 02.06.) Teil I

Nach und nach füllt sich das Wohnzimmer, zu Spitzenzeiten dürften sich ca. 16 Jungs und Leonie als einzige weibliche Person im Raum aufgehalten haben. Hasan so wird uns versichert, wird bald auftauchen und tatsächlich, einundzwanzig Jahre jung, kontaktfreudig, super nett und bis in die Fingerspitzen gastfreundlich. Wir sind bereits geduscht, also kein Grund den Kontakt zu scheuen. Ehrlich uns steckt ein langer regenreicher Tag in den Knochen, vorsichtig fragen wir, ob wir in der Hauptstraße einen Bankautomaten und etwas schnelles zu Essen finden können. Gefragt getan, natürlich begleitet uns Hasan, ganz unkompliziert ordert er auf Türkisch unser Abendessen, wir genießen die Ruhe und schlürfen Suppe, die uns mit warmem Magen zu Bett gehen lässt.

Am nächsten Morgen weckt uns wieder der Hunger und zusammen mit Hasan und Hasret frühstücken wir im gegenüberliegenden Lokal, typisch türkisch, Menemen. Eine warme Speise aus halb gebratenen Eiern durchmischt mit Käse, reichlich Paprikapulver, Tomaten und zusätzlich überbackenem Käse. Dazu gibt es Ekmek, einfaches Weisbrot, zum Aufnehmen des warmen, würzigen Frühstücks. Danach müssen die Jungs in die Uni, ihre letzten Prüfungen bestehen. Die Haupstraße in Ipsala, ist Geschäftsstraße, Anlaufpunkt für Stadtgespräche und Treffpunkt zur Mittagspause. Die neuen Namen, Supermärkte, kleinen Lädchen, neue Produkte und das Preisniveau muss erst erkundet werden um sich einen realistischen Eindruck machen zu können.

Zurück im spartanisch eingerichteten Wohnzimmer stellt sich nach dem Examensstress ein Gefühl von Entspannung und Gelassenheit ein. Hasan und seine Jungs servieren Chai mit reichlich Zucker und die Googletranslate-Maschine nimmt Fahrt auf J Die Jungs und wir sind gleichermaßen interessiert: Alter, Beruf, Beziehungsstatus, Familie, Geschwister, favorisierte Fußballmannschaft, Wohnort… erst die Eckdaten, dann Reiseberichte, ob wir Lena Meyer-Landruth kennen und gegen Ende, wie uns die Türkei gefällt? Bei letzterer Frage müssen wir passen, die Stimmung in Ipsala und in Hasan’s WG gefällt uns sehr gut, sie lachen und wir werden gedrückt. Die WG ist die erste Station hinter der Grenze. Über 65 Radler, zeitweise Gruppen, ja ganze Familien haben die Jungs beherbergt, alle auf der Seidenstraße unterwegs. Fotos, Geschichten und kleine Videos hat jeder von ihnen parat, die stolz gezeigt werden. Wir kommen auf die Wahlwerbung zu sprechen und erfahren das die knapp 70 Millionen Türken in einer Woche ein neues Parlament wählen. Im gleichen Zuge und mit der Ankunft der Cousins, seitens Hasans, verstehen wir die Zusammensetzung der WG. Einzig Hasret und seine Freundin sind türkischen Ursprungs, die vier restlichen haben kurdische Wurzeln und als einer der Verwandten zur Gitarre greift und eines der Volkslieder anstimmt, steigt mitten am Nachmittag die Fete und alle zelebrieren den traditionellen Tanz zwischen Sesseln, Sofas, Radtaschen und herumliegenden Jonglierkeulen. Die Stimmung ist super, kurz zuvor sind Beccy und Rob aus England mit den Rädern angekommen, wir zeigen ein Paar einfache Jonglagemuster und Akrobatik-Figuren, dann folgen Kartenticks und gleichzeitig wollten wir „gerappte Plätzja“ für die Gastgeber brutzeln, zum Glück hilft uns Beccy in der Küche und Rob lenkt die zehn hungrigen Jungs vom Hungergefühl ab. Abends steigt im Lokal gegenüber eine Art Semesterparty. Das Wohnzimmer leert sich allmählich, bis spät in die Nacht wird gefeiert und im Wohnzimmer fliegen lernende Jonglierkeulen. Als wir am nächsten Morgen zusammen mit Beccy und Rob in unserem (Hasan’s Schlafzimmer) frühstücken, liegen in wilden Positionen die vor kurzem noch Feiernden verstreut im Wohnzimmer. Es ist kurz vor 11:00 als die Räder startklar sind und Hasan, zusammen mit Sezar, noch leicht zerstört, die letzten Fotos schießen und wir zu viert von der anderen Straßenseite winken. Zwei Tage und drei Nächte durften wir uns ausruhen, uns heimisch fühlen und die außerordentlich netten Jungs ein Stück kennenlernen. Vielen Dank! Die Sommerferien warten schon auf Euch 🙂

Istanbul liegt vor uns!

 Zitat OpenWikiReiseführer – zu Rad in Istanbul:
„Radfahrer zählen in Istanbul zu den Exoten. Abgesehen von der Hügelstruktur, dem unebenem Kopfsteinpflaster und den Schlaglöchern ist es gefährlich: Im Gegensatz zu einem Fussgänger zu wenig beweglich um rasch ausweichen zu können, im Gegensatz zu den motorisierten Verkehrsteilnehmern zu langsam, dürfte Radfahren in Istanbul nur etwas für Masochisten und potentielle Selbstmörder sein.“  

Vieles hatten wir gehört, unterwegs, im Vorfeld gelesen, Bilder im Kopf gezeichnet von katastrophalem Verkehr, kniehohen Bordsteinen und 10 spurigen Autobahnen die in komplizierten Auf- und Ausfahrten enden. 10km hinter Ipsala, 10km näher dem Ende des europäischen Festlandes auf sanften Hügeln auf gradliniger Autobahn in Gedanken an das uns Bevorstehende treffen wir plötzlich auf eine ehemalige Backpackergruppe, die seit Istanbul auf Fahrrädern dem Weg nach England folgt. Endgültig entscheiden wir, nicht mit dem Fahrrad in die 20 Millionenstadt einzufahren. Volles Vertrauen habe ich nicht, später im offenen Gespräch hatten diese auch Rob, Beccy und Leonie nicht, die Schilderungen der Backpacker wirken cool und hip, ungewohnt selbstsicher geben sie sich in ihren Angaben über Land und Leute nach denkbar kurzer Zeit auf zwei Rädern. Der Weg führt uns nach Süden mit der Idee an der Küste des Marmara-Meers Richtung Bursa zu fahren und von dort die Fähre ins Zentrum zu wählen wird zum Plan für die nächsten Tage. Rückblickend eine gute Entscheidung, vor allem mit den offenherzigen und gelassenen Randoneur-Minimalisten zusammen zu radeln, die beste Entscheidung. Wir genießen den Austausch von Zukunftsideen, den Gegenwartsideen und vieler Reiseerfahrungen. Die Beiden sind im Frühwinter in England gestartet, über Frankreich und Spanien und haben den Winter in Marokko verbracht, immer im „warmen“ Richtung Osten 🙂 Zehn Monate sind die beiden bereits unterwegs. Sehr spontan und doch mittendrin, reisen und arbeiten sie unterwegs als Filmemacher, in dem sie Interessierten ihre kleinen kreativen Werbespots für jegliches Gewerbe anbieten.Vieles deckt sich mit unserer Vorstellung des Reisens, die alltäglichen Dinge: Aufstehen, Mahlzeiten, Verdauung, Verwertung, Abgang des Verwerteten, Pausen, Konsumverhalten, Camping, Bettgehzeit, die Grundeinstellungen Neuem gegenüber einzig die Geschwindigkeit und Distanz sind verschieden (natürlich spreche ich von meiner Vorstellung) J Macht aber nichts, denn 4 Tage strammer Gegenwind haben mich letztlich auch ans Ende meiner Reserven gebracht. Als wir am Strand zu unser aller Zufriedenheit den ersten gemeinsamen wirklich schönen Platz finden sind Leonie und ich im Vergleich zu Rob und Beccy etwas unkoordiniert. Mit Blick zu den Beiden, installiert Beccy ihre neue Küche und startet parallel die Zubereitung von Gemüse und Beilage, Rob stellt das Zelt, pustet Isomatten auf und bereitet den Schlafplatz, danach gibt er sich an Näh- und Flickarbeiten und sortiert Lebendmittel in Taschen oder legt vom Mittagessen benutztes Besteck in die Schüssel, in der er nach dem Abendessen den Abwasch vornimmt. Wir, zur gleichen Zeit, baden im Meer, duschen uns an der Solardusche und widmen uns dann unserem abgeworfenen Gepäck um uns frische Klamotten anzuziehen, dann starten auch wir unsere Küche und bei den letzten Löffeln lacht uns die Sonne aus Westen entgegen. Wir lassen unser Zelt die Nacht im Packsack. Erstens verspricht der Sandstrand keinen guten Halt und zweitens ist für die kommenden Tage kein Regen gemeldet, was eine klare Vollmondnacht bestätigt. Im Spotlight of moon gehen wir zu Bett und freuen uns auf Morgen. Beim Frühstück müssen wir den beiden gestehen, dass sie was Küche und Besteck angeht, zu unserem Neid bestens ausgestattet sind. Sie gestehen, dass der jetzige Stand das Resultat aus vielen Versuchen ist, aktuell sind sie sehr zufrieden mit ihrem Equipment. Beide konnten es kaum fassen, das wir täglich duschen und dafür 10 Liter zusätzlich in Kauf nehmen. Auch eine Art von Neid 🙂 Wir fahren weiter und nehmen die Fähre von Gelibolu nach Çardak. Das zweite Frühstück ist Böreck mit Seeluft, uns geht es super gut. Den Gegenwind hatte ich erwähnt, 80km pro Tag, völlig ausreichend und für Beccy und Rob eine echte Herausforderung. „We are cycling with two german maschines!“ Bekommen wir hin und wieder zu hören, was so viel heißt wie: Wir brauchen eine Pause zum Trinken, wann machen wir Mittagspause? 🙂

 

English version:

Istanbul lying ahead.

Before getting there, we’ve heard and read a lot about Istanbul, imagining terrible traffic, knee-deep pavements and ten-lane highways that end up in intricate driveways or exits. Leaving behind Ipsala, lost in thought about what is lying ahead of us, 1o kilometers closer to the end of continental Europe on soft hills and an even highway, we suddenly meet a former group of backpackers who changed to cycling in Istanbul, making for England now. That’s when we decide on not making for the city with more than 20 million people by bike. I feel a little uneasy, later Rob, Beccy and Leonie tell me they are a little worried either. The backpackers’ portrayals sound cool and hip. Even though they are travelling by bike for so short a while, they seem confident while telling us about the country and the people.

Cycling along the Marmara coast in the direction of Bursa and – once there – taking the ferry to the Centre, turns into our plan for the following days. On looking back, this was a good decision. Above all, cycling together with the open-minded and laid-back Randoneur-minimalists was the best of all decisions. We enjoy sharing visions for the future and the present and lots of travelling experiences. In early winter, targeting the East and always keeping to ‘warm’ places, the couple set off in England crossing France and Spain and passed the winter in Morocco. J They’ve been travelling for ten month already. Being very spontaneous and ‘connected’ at once, they are travelling about and all along working as movie makers by offering their short creative commercials for any kind of business to those interested. When thinking about travelling, there are lots of similarities between us and them. e.g. the everyday practices – getting up, meals, digestion, using of leftovers, aftertaste of leftovers, breaks, consumer behaviour, camping, bedtime, the general attitude towards new things . . . velocity and distance are the only things that we don’t share (apparently that’s my point of view) 🙂 Well, never mind, because after four days of rough headwind I am all worn as well.. When we happily make out the first really nice spot on the beach together, Leonie and I turn out to be not as co-ordinated as Rob and Beccy. While Beccy installs her new kitchen and starts preparing vegetables and side dishes, Rob sets up the tent, pumps up sleeping mats, gets the whole place settled for sleeping and afterwards turns to patchwork, sorts out/places food into bags or puts lunch-used cutlery into a bowl in which he later on washes the dishes. All the while, we are swimming in the sea, taking a solar-driven shower and then care about our tossed-aside luggage to put on some fresh clothes. Then, we start cooking as well and during the last spoons the sun smiles at us from the west. This night, we leave our tent in the bag. Because, first of all, the sandy beach doesn’t seem to hold the tent in place and – sencondly – there’s promised to be no rain throughout the following days – which the full moon night shows to be true. Under the spotlight of moon we go to bed and are looking forward to tomorrow. While having breakfast, we have to admit to the couple that we feel a little jealous of their lush kitchen equipment. They tell us that all they have now is the result of a lot of tries. Now, they are quite happy with their equipment. Both of them could hardly believe that we are taking a shower every day and are prepared to add on 10 litres for that. Some kind of jealousy as well. J We move on and take the ferry from Gelibolu to Çardak. Borek with sea breeze turns out to be the second breakfast – we are super happy. Have I mentioned the headwind? 80 kilometres per day – more than enough and a real challenge for Beccy and Rob. “We are cycling with two german machines!” – they tell us every now and again. Which means so much as: we need a drinking break, when are going to have lunch? 🙂