Bagan – Dawei – Hteekee (18. – 25.05.)

Der Plan B im Schatten des Taifun!

Es ist das Gefühl von Enttäuschung, dem nicht wahr haben wollen, wenn plötzlich die Entscheidung jemand anderes fällt. Zurück nach Thailand so viel ist klar, doch wieder über Mae Sot, das können wir uns nicht wirklich vorstellen und was soll danach kommen? Nach zerreisenden Diskussionen entschließen wir uns teils mit dem Rad, teils mit dem „Sprungreitturniert auf Schienen“ zurück nach Bangkok zu reisen. Unser Pakistan Visum liegt noch immer in der Schwebe, gut möglich das es unterwegs Neuigkeiten oder gar eine positive Rückmeldung gibt und die Karten neu gemischt werden. Also raus aufs Rad, raus aus Bagan und hinein in den Regen. Denn gerade als wir auf den sandigen Pisten durch die weite Ebene der riesigen Tempel manövrieren, setzt der erste Regen des sich anbahnenden Taifuns ein. Als der Bahnhof zehn Kilometer entfernt in Sichtweite kommt, sind die Pläne bereits die Sonne von Gestern und das triefende Nass unserer Kleidung lenkt uns direkt zum Ticketschalter.

Das Ziel oder die Idee ist, die Grenze zu Thailand auf der Höhe zu Bangkok zu überqueren. Das bedeutet mit dem Zug bis in den äußersten Süden des Schienenverkehrs zu hopsen und in Dawei, der letzten Bahnstation entlang der Küste, den Weg durch die Berge zum Checkpoint zu nehmen. Gesagt getan! Zwar ist es nicht möglich ein durchgängiges Ticket für Mensch und Fahrrad direkt in Bagan zu erwerben, doch es lässt sich in Erfahrung bringen, dass wir stets mit einem Anschlusszug rechnen können. Zwei Nächte und zwei Tage später erreichen wir Dawei, der Taifun wütet noch immer. Hinter uns liegt der Streckenabschnitt zwischen Mawlamyine und Dawei, der im dichtesten Urwald, in engen Tälern mit giftigen Steigungen der Diesellock und den Passagieren alles abverlangt. Die Szenerie ist beeindruckend! Mal hat man das Gefühl mit einem Flugzeug durch das dichteste Dickicht zu rauschen, dann schwebt man wieder durch Baum- und Bambuskronen und dabei rennt der Esel über Stock und Sein. Hält der Zug an kleinen Zwischenstationen sind gleich Frauen und Männer am Bahnsteig und bieten Leckereien aus ihrem Garten oder den umliegenden Feldern an. Mit etwas Glück kaufen wir von einer Dame die besten Bananen die wir in Asien je gegessen haben, so reif, süß und prall, das wir eine nach der anderen verspeisen und die Mitreisenden schon Scherzen, wann wir wohl zur nächsten greifen.

Am späten Abend, gerade als die Räder auf dem Bahnsteig stehen setzt es wieder einen heftigen Schutt Regen und als ein junger Mann die Tür zum Bahnhof öffnet staunen wir nicht schlecht! Auf dem Boden der riesigen Bahnhofshalle haben viele Reisende und Familien ihr Lager aufgeschlagen. Auf Bambusmatten, Decken, Plastiktaschen oder Longies liegen die kurzen Körper der einheimischen Reisenden, die später im Zug so einfach Platz auf oder unter den schmalen Bänken finden. Kinder tollen herum, aus einer Ecke hört man ein Baby kreischen und unter den undichten Stellen der Dachkonstruktion sammeln sich erneut die Wasserlachen. Im Trockenen beratschlagen wir kurz unsere Möglichkeiten und nachdem ein Polizist einwilligt uns auf der Empore übernachten zu lassen, schlagen auch wir unser Lager auf. Ganz selbstverständlich machen wir es uns in einer trockenen Ecke „gemütlich“ und schlafen bald ein.

Als wir uns am Morgen fertig machen um in Dawei ein Gästehaus ausfindig zu machen sitzen die meisten Reisenden bereits im Zug nach Norden und wir nach Westen auf den Rädern in die Stadt. Dawei liegt am gleichnamigen Fluss, der hier ruhig durch ein breites Tal fliest. Eingefasst durch die kleine Hügelkette im Westen, die zur Andamanen See abfällt und der im Osten gelegenen Berge des Nwalabo Taung Gebirges, hat die Stadt ihren eigenen Charakter ähnlich wie Pyay behalten. Die Strände sind zwar an mancher Stelle auf das unästhetischste für den Tourismus erschlossen, doch das betrifft die Stadt wenig, da hier allenfalls das salzige Meerwasser den Fluss hinaufdrückt, sonst aber kein Strand in Sicht liegt. Die Menschen sind herzlich und offen. Stadtgespräch ist meist der im Bau liegende „industrial corridor“ der inklusive eines neuen Hafen in Dawei in Planung liegt und später Waren über die Berge nach Thailand oder in entgegengesetzter Richtung aufs Meer bringen soll. Man hofft allgemein auf besser bezahlte Jobs und unterhält sich über die junge Generation, die meist auf dem Sprung ist in Thailand, Singapur oder Malaysia nach einem solchen zu suchen.

Am Nachmittag lässt sich die Sonne blicken. Die kleinen Straßen beleben sich, an verschiedenen Ecken kosten wir die Küche aus Dawei und stolpern mit unserer Mustervorstellung über den Markt auf der Suche nach einem attraktiven Longie und einer verlässlichen Information über Qualität und Beschaffenheit der Verbindungsstraße von Dawei nach Htee Kee, dem Grenzübergang nach Thailand. Den Aussagen der Burmesen nach existiert die Straße. Asphalt, Feldweg, Auf und Ab, ein Mix aus Beschreibungen, eine versierte Einschätzung ist nicht auffindbar. Umso mehr sind wir erleichtert, als die ersten Schätzungen der Wahl zum Bundespräsidenten in Österreich hauchdünn gegen den ÖVP Kandidaten stehen. Genauso geht es den drei Reisenden aus Österreich, die sich andernfalls in Grund und Boden geschämt hätten und nun am Abend aufatmend mit uns vor der Tür des Gästehauses sitzen, Erlebtes austauschen und viel Lachen.

Mit der gleichen Sonne von gestern, Nan und süßen Kokosmilcheiern, liebevoll auf offenem Feuer in einer gusseisernen Backform gebacken, verlassen wir die österreichische Delegation und Dawei auf der asphaltierten Straße Richtung Westen. Grüne satte Wiesen, Reisfelder und dichter Urwald oder Betelnussplantagen zieren die Landschaft, nie war Myanmar so frisch und grün wie hier. Doch schon bald steigt die Straße durch ein Tal über den ersten Gebirgskamm und die Wiesen und Felder verschwinden. In einer engen Kurve kommen wir ungläubig ins Stocken, auf dem Hof einer Familie liegt ein fünf Meter langes Ungeheuer von Schlange, der ihr Kampf um Leben und Freiheit blutig ins Gesicht gezeichnet ist. Ich bin tief beeindruckt und gerade hat mich jeglicher Mut verlassen in dieser Gegend unser Zelt aufzustellen. Es sind kleine Dörfer die die Straße säumen und es zeigt sich, dass es eine Periode im Jahr geben muss, in der größere Mengen an Urlaubern entlang dieser Straße kommen, sonst wäre die Restaurantbranche nicht derartig ausgebaut. Zudem stimmt es uns zuversichtlich und schon hoffen wir auf eine durchgängig asphaltierte Straße.

Als sich die ersten schweren Wolken über uns zusammenziehen verlassen wir gerade eines der Dörfer die nicht im Kartenmaterial eingetragen sind. Um die Kurve steigt es nochmal an Höhe, dann fallen die ersten fetten Tropfen, der Blick fällt auf einen kleinen Tempel oberhalb der Straße auf einem Hügel, doch bevor wir die Auffahrt erreichen schüttet es sagenhaft aus den Pforten des Taifuns und wir retten uns halb nass, halb klamm unter einen Bambusverschlag, den auch ein Mopedfahrer bereits aufgesucht hat. Der Schotterparkplatz des dicht gelegenen Teehauses ist sogleich geflutet, der Tempel im Himmel versunken, nur vom Teehaus schimmert ein schwankendes Licht zu uns unter dem maroden Dach hinüber. Eilig hastet ein Mann von dort herbei und drängt uns Schutz unter seinem Dach zu suchen. Noch hoffen wir darauf, das der Regen wie die vergangenen Tage in den nächsten zehn bis fünfzehn Minuten wieder aussetzt, doch als er uns ein zweites Mal zu sich winkt und keine Besserung in Sicht ist, greifen wir beherzt unsere Fahrräder und warten durch schlammiges Wasser hinüber zu Soe Thu Htwe, seiner Frau, seinem Sohn und dem Bruder des Familienvaters. Er läd uns ein zu heißem 3 in 1 Kaffee, Bier, einem einfachen Reisgericht zum Abendessen und einem Schlafplatz im Trockenen. Ohne Zweifel hat es die Familie gerade nicht leicht, der Kleine ist am Husten, seine Mutter auf Grund einer Fehlgeburt körperlich und in Gedanken in tiefer Trauer, da sind die beiden Brüder mehr denn sonst gefordert und trotz seiner Beeinträchtigung Hilft der Onkel des kleinen Sprößlings, der hin und wieder ein Lächeln in das Gesicht seiner Mama zaubert, so gut und eifrig er kann. Zum Duschen wird uns ein zweiter Longie für Leonie gereicht, dann danken wir unseren Gastgebern und finden wohl duftend eine geruhsame Nacht ohne Angst vor Schlangen oder weiteren Regenschauern gleich neben den Verkaufstresen.

Nach Kaffee und den besten Wünschen ihrer- und unsererseits setzen wir den Weg am frühen Morgen fort. Kurz darauf endet der Asphalt in einem Dorf und nach dem Militärposten vor der Brücke führt eine ruppige Erdstraße flussaufwärts durch ein Gebiet, welches von einer autonomen Volkgruppe kontrolliert wird und ihr eigenes Militär stellt. Als die Straße in einer Flussbiegung das Tal des Flusslaufs verlässt, stehen wir fassungslos vor der sich aufbäumenden Steigung und unsere Augen klettern ungläubig suchend zum nicht sichtbaren Scheitelpunkt. Sofort ist klar, die Art der Steigung ist weder fahr-, noch schiebbar und selbst zu zweit an einem Rad werden wir all unsere Energiereserven an einem einzigen Anstieg lassen. Doch ein Blick auf die Karte verrät unmissverständlich, dass geschätzte zwanzig solcher und durchaus kraftraubendere Passagen folgen werden. Stur und unglaublich überzeugt starte ich den Versuch mein Rad gen Himmel zu schieben, während Leonie am Sockel vernünftig wartet und nur den Kopf schüttelt bei meinem Versuch Zentimeter für Zentimeterchen die Schwerkraft zu überwinden. Gerade sind es wieder glückliche vier Zentimeter auf einmal, da hält unten ein Pickup neben Leonie, der uns anbietet die Räder und uns auf die Ladefläche zu packen. Sofort willigen wir ein und nach fünf Minuten stehen wir konzentriert, mit festem Stand, einer Hand am Fahrrad und der anderen an einer Art Reling, die sich über die Fahrerkabine schmiegt, auf dem Pickup. Dann gibt es ein kurzes Zeichen, dass wir losfahren und schon klettert die Maschinen den Remmel empor. Nach jeder Kurve die über einen neuen Kamm ins nächste Tal sich biegt, zählen wir die Rampen die vor uns liegen und können nicht glauben, dass die Laoten hier ihre wahren Meister gefunden hätten. Kerzengerade legt sich die teils ausgewaschene lehmige Geröllspur in den Berg und hat an den verrücktesten Stellen annähernd zwanzig Prozent Steigungswinkel. Wer hier im Hang anhält oder liegen bleibt riskiert ein riskantes Anfahrtsmanöver, weshalb die meisten Fahrer unten mehrmals hupen um sich einer freien Bahn zu versichern.

Unterdessen setzt der Regen ein, ein junger Burmese mit Rucksack steigt mit zu uns auf und der Fahrer brettert sobald es das Terrain zulässt, mit aller Wucht der Grenze entgegen. Durchgefroren und klatsch nass, ist die Fahrt drei Kilometer vor der Grenze zu Ende. Der Fahrer lächelt und geht dann zu seinem Bauprojekt, das direkt am „industrial corridor“ liegt und später ein Restaurant werden soll. Wir danken und sind überglücklich, dass wir diesen Abschnitt hinter uns haben. Bis zum Grenzposten begleitet uns noch die Offroadstraße, die ihren Namen mit Stolz tragen darf. Danach sausen die Räder gleich auf gebügeltem Asphalt wie auf einer neuen Autobahn hinunter ins Tal.

Welcome to Thailand! Es sind nur wenige Meter nach einer Kreuzung als uns ein Mann auf Englisch anspricht, der an der Straße Betonelemente anfertigt, wo wir heute Nacht bleiben? Wir sind nicht sicher antworten wir. Sofort schlägt er vor in seinem Verschlag hinter seiner Garage zu nächtigen, es wäre alles vorbereitet, Radfahrer hätten dort schon häufig übernachtet. Toilette, Dusche, ein Dach und genügend Platz für unser Zelt. Klar, dass wir bleiben!