Waren die letzten Kilometer auf armenischen Straßen ein Traum aus Asphalt, wird auf georgischer Seite der Straße, hinunter in die niederen Lagen wenig Bedeutung entgegengebracht. Nach dem armenischen Schlagbaum und der georgischen neu entstehenden Sicherheitsschleuse aus diversen Röntgenautomaten folgt die von Wetter und LKWs zerstörte Straße einem einsamen Tal. Nur an der Landmarke und verstreut in unwegsamen Seitentälern liegen kleine Dörfer. Die Bauern bringen gerade das letzte Heu nach Hause. Noch ist es sonnig und warm, das Federvieh, Ziegen, Hunde und Katzen, jeder kostet die letzten wollig hellen Tage hoch oben im kleinen Kaukasus mit Genuss aus. Nach schattigen Waldwegen trifft die Piste auf eine neu ausgebaute Straße. Immer noch ist das Tal tief, die ersten größeren Dörfer finden sich auf knapp 500m Höhe, als das enge Tal hinter uns liegt. Wie in Armenien bieten die Familien ihr Gemüse, Bohnen, Obst und Brot auf kleinen Bänken oder direkt auf dem Gehweg an. Der kleine Markt bietet zudem Überregionales und wenig später sehen wir uns mit einem riesigen Laib Brot gezwungen unter einem der tausenden Nussbäume nahe einer Ruine einer kleinen Kapelle zu bleiben. Die Gegend ist traumhaft! Mit dem Blick auf die kleine Festung nebst Kirche im Dorfzentrum, das auf einem Hügel in der Mitte alles überragt, sehen wir dem Sommergewitter entgegen. Die Schweinemama mit ihren acht Ferkeln, zieht auf dem Feld ihre schnüffelnd grunzenden Kreise, dann sucht eine Frau ihre Kuh, ein anderer holt sein Pferd von der Weide und langsam fallen die ersten Tropfen. Behaglich bei milden Temperaturen hört es nach einer knappen Stunde auf zu regnen und das Abendessen geht in die Vorbereitung.
Die Erntezeit ist hier erst in vollem Gange. An den Feldern Türmen sich Berge von Kartoffeln, Paprikas, Kürbis, Mais, Zwiebeln…. Jeder ist mit seinem Karren im Gemüse und jeder hilft anzupacken wo er kann.
In zwei Wochen wird im Land gewählt! Das erklärt dann auch die dudelnde Parteiwerbung, die mit Fahnen beschmückten Autos, die die Gassen der Felder hoch und runter fahren.
Der erste große Markt den wir anfahren liegt in Marneuli, uns reißen die riesige Auswahl an Käse, Brot, Halva und die anderen Köstlichkeiten satt vom Radel! Nur schwer ist es, einzusehen, dass die Taschen bereits reich gefüllt sind. Keine fünfzig Kilometer sind es jetzt noch bis in die Hauptstadt Tiflis, doch der zunehmende Verkehr und das teilweise arrogante Fahrverhalten gegenüber uns macht uns den Nachmittag zum gestressten Negativerlebnis. Desto glücklicher sind wir, als uns Tamaz nach einem langen Tag am Haus der Oper in der Innenstadt abholt und der Abend gemeinsam mit ihm, dem georgischen Fahrradidealisten, in seiner Wohngemeinschaft ausklingt. Tamaz hat in Tiflis eine Gruppe für Fahrradkultur gegründet, die sich mal mehr, mal weniger regelmäßig in der WG oder auf den Straßen der pulsierenden Stadt trifft. Letzten Monat hatten ihn drei US-Amerikaner über fünf Ecken ausfindig gemacht und ihn als Tourenführer und Übersetzer zum großen Kaukasus in den Norden mitgenommen. Als Wertschätzung seiner Ortskenntnisse und der Verständigung im Gebirge mit den Ortsansässigen, flog auch gleich ein nagelneues Mountainbike mit nach Georgien. Ganz zur Freude für Tamaz, der als Vorbild stets mit Helm und gut sichtbarer Kleidung im Verkehr auffällt. Die wachsende Zweiradgruppe sind StudentInnen und Menschen aus Tiflis, denen der stark expandierende Autoverkehr stinkt! Im vergangenen Jahrzehnt ist der Lärm, der Stress und die Luftverschmutzung auf den Straßen rasant gestiegen. Die Szene steckt noch in den Kinderschuhen, doch mit Tamaz hat sie einen kompetent agierenden Ideengeber und kreativen Geist.
Der kosmopolitische Geist der alten Mauern von Tiflis schwebt bei gutem Wetter im Dunst von jungen kreativen, weltoffenen Menschen, umgeben von stützenden Stahlgerüsten, die die Gebäude der Elterngeneration auf Distanz halten, während aus Russland, Europa, Asien und Amerika die Touristen durch die Altstadt schlendern und die Stadt zur Basisstation für Unternehmungen im Umland fungiert. Das Land und die Leute, es gibt viel zu sehen, zu erzählen, wir fühlen uns wie in einer Metropole die in Europa schnell einen Platz finden würde, die als Brücke zwischen Europa und Asien ihren ganz eigenen Scharm spielen lässt.
Am Abend gibt es frische Kartoffeln aus der Pfanne und schon beim Zubereiten blitzen die Augen von Laura, die die Saison aus Liebe zur geschmacksvollen Knolle herbeigesehnt hat. Wir steuern Shoti (georgische Brotfladen) und türkisches Omlette auf den Tisch, Tamaz aktualisiert die Fahrradgruppe in den sozialen Netzwerken, dann gehen wir zu Bett.
Fast hätten wir wie Andrey aus Moskau, ebenfalls mit Fahrrad und Gepäck, bereits zur Abreise nach Batumi, das Zugticket für Georgiens modernsten Zug gekauft, der vor unser aller Augen auf seiner Premierenfahrt ohne uns und auch in Zukunft ohne Radreisende auf dem Schienennetz eingesetzt wird, den Bahnhof verlässt. Zwei Stunden später sitzen wir in der älteren Version inkl. der Räder und freiem Internet, verfügbar über die gesamte Strecke, die uns in ihrer Schönheit Vorwürfe zu machen scheint, dass wir Georgien schon in drei Tagen verlassen. Denn der Fährtermine von Poti nach Varna zwingt uns schneller als erwartet nach Westen und so schmieden wir bereits im Wagon mit dem Blick aus dem Fenster Pläne einer schnellen Anreise zurück in den großen Kaukasus, einem anderen Dach der Welt. Andrey unser russischer Begleiter ist ein toller Charakter, jung und offen mit viel Humor, der nicht überraschend ein ganz anderes Bild zeichnet, als es unsere Medien von links nach rechts über Russland tun. Von Moskau mit dem Zug nach Süden inklusive aller Fahrräder und den sieben anderen Mitreisenden, waren sie vor zwei Wochen im großen Kaukasus frierend gestartet um Georgien zu beradeln. Dank der Visafreiheit bleibt Andrey noch ein paar Tage länger als der Rest der Gruppe, die schon im Flieger nach Hause sitzt. Denn eines hatte er sich noch vorgenommen: zumindest ein oder gar zwei Tage zum Strand nach Batumi und Schwimmen bevor er die 3 Tage Zugfahrt in den bereits einsetzenden Winter zurück nach Moskau, wo er im Hotel das einst die Herberge der Olympioniken war als technischer Wartungsdienst arbeitet, antritt. Ganz neugierig über ferne Länder wie China und in versiertem Englisch endet der Tag mit der Ankunft am weit außerhalb gelegenen Hauptbahnhof von Batumi wo wir gleich abgegriffen werden und gemeinsam einer rüstigen Dame in ihr Gästehaus folgen. Einer Flasche Schnaps inklusive!
Batumi, das Las Vegas Georgiens, setzt auf muslimischen Glücksspieltourismus und auf Bauruinen als Zeichen des Aufschwungs und der Korruption, die die Politelite nach wie vor durchzieht.
Der Strand fern der Stadt nicht weit von unserer Herbergsmutter ist nicht der schönste aber das Wasser ist das Gleiche, so sieht es Andrey und auch wir springen ins Schwarze und trocknen anschließend in der Sonne, wo uns Andrey erklärt, dass in Russland nicht ohne Grund gelacht wird, das gegenseitige Anlächeln als Begrüßung sei dort nicht ausgeprägt, die Leute würden uns womöglich für verrückt halten oder gar verschreckt reagieren, warum das so ist? Das kann er nicht erklären, es kümmert ihn aber auch nicht. Beim Abschied lachen wir aber alle gemeinsam, Andrey lässt ein beherztes „Do svidaniya!“ vernehmen 😉 Wir entgegnen er sei immer willkommen oder bis bald in Moskow!
Dann biegen wir auf die Straße nach Poti und Andrey zum Strand ab. Entlang der Küste, vorbei an Bade- und Strandtourismus nähern wir uns dem Hafen bis auf zwanzig Kilometer und schlafen eine letzte Nacht am Strand wo am Abend die Skypeverbindung nach Hirschfeld steht und zu Hause so greifbar erscheint, wenn mein Opa Geburtstag feiert.
Mit einem Sack selbstgeernteter Kaki, fünf georgischen Brotfladen, Käse und Trauben besteigen wir am Nachmittag die Cargofähre. Nachdem wir zunächst einige Zeit mit Polizeibegleitung nach dem richtigen Ansprechpartner unserer Rederei gesucht hatten, dauert es zwar noch bis spät in die Nacht, doch dann sind der Ausreisestempel auf Papier und alle Ladung von Bord. Gemächlich laufen die Crew und mit ihr zwei FahrradWeltenLenker aus dem Hafen hinaus ins Schwarze gen Westen.