Chengdu – Litang (23. – 31.10.)

 

Von Philipp

Im für Chengdu typischen Dunst, reichen unsere Pläne kaum weiter als die Sicht es nach Pengshan zulässt, sprich genau einen Tag. Das Ziel liegt nicht ganz dingfest 70km südlich der zunächst nicht enden wollenden Stadt. Am herbeigerückten Horizont, tauchen wie in den PC-Spielen, auch nach einer Stunde geradliniger zügiger Fahrt, ganz selbstverständlich riesige Hochhauskomplexe aus der Ferne heraus, die immens viel Wohnraum und chinesische Baukultur bieten. Stahlbeton ist groß, hoch und gängigste Praxis. Das Ende der Urbanität kündigt sich durch vorplanierte Bauflächen zur Erweiterung und die Reduzierung des Highways von sechs auf eine Spur an. Zack! Dann die Option eines Überlandradweges, leider die falsche Richtung und das OK aus Pengshan, dass ein Zimmer auf dem Campus der UNI bereit steht. Perfekt! Wieder einmal vorzüglich von Leonie über Kontakte eine Bleibe organisiert. Doch zunächst begeistern die vielen grünen Felder, entlang der Straße, die sich links wie rechts am Flussufer präsentieren, alle in ihrer Form mit eigenem Charakter. In den Reihen und dazwischen, überall wird fleißig gegärtnert und der freie Acker bestellt. Kleine Dörfer, Gehöfte und hier wie da Kaschemmen mit Kleinvieh oder borstigen Stinkern. Es wird ehrlicher, brutal grün und ein ganzes Stück fremder als noch in Chengdu, wo Touristen einen Platz haben. Blickkontakt, wenn auch befremdend und aus der Situation heraus verwirrt, sind die ersten Reaktionen, die wir auf ein „Nihao!“ oder wildes winken entgegnet bekommen. Als wir uns Pengshan und damit der Studentenstadt nähern, wendet sich die perplexe Reaktion in zurückhaltende Neugier, die meist im Gelächter ihren Höhepunkt findet. An der Pforte zur University of Pengshan wird nach der Kollegin von Moritz telefoniert. Moritz, der sich gerne seiner Selbst vorgestellt hätte, zu unserem und seinem Bedauern jedoch in Peking festsitzt, da die russische Botschaft seinen Reisepass länger einbehält, hatte noch gehofft all seine Energie in charmantes Liebkosen am Check-In des Terminals für die netten Securitymädchen aufzubringen, um den Flug mit seinem Personalausweis zu ermöglichen. Doch leider blieb es bei dem Versuch, denn als uns die drei Amerikanerinnen Stephanie, Amanda und ? (leider haben wir den Namen vergessen :-/) zu dem Apartment von Moritz begleiten, rollen zwei von Ihnen die Augen und eine wirft ihr Haar mit gekonnter Kopfbewegung zurück hinter ihre Schultern, „Moritz…Yeah, Visas are annoying!“ Die Mädels sind hungrig. Schnell nehmen wir eine Dusche, Zeit zum organisieren des Gepäcks und weiterer Reisegedanken wird auf später verschoben. Gelassen schlendert die Gruppe hinaus auf die belebten Straßen rings um den Komplex UNI, in denen das junge Leben pulsiert und die hiesigen Obst und Snackstände ihre Köstlichkeiten auf den Ladeflächen ihrer Rickshaw anbieten. Zielstrebig steuern wir hinter den Hungrigen in ihr favorisiertes Restaurant und sind begeistert über die Vielfalt der scharfen, leckeren Kost. Wir essen und essen! Selbst als Ungeduld aufkommt, da das Gesprächsthema Urlaubsplanung unserer Gegenüber ihr Ende findet, schmatzen wir weiter und leeren wohlwollend die Teller und Schüsseln. Mit kleinen Snacks in der Hand erreichen wir prallgefüllt die Zimmertür und entscheiden zum Wohle unserer Verdauung auf dem Sportgelände für eine knappe Stunde unsere neu erworbene Frisbee aus Chengdu einzuspielen. Die Scheibe ist auf dem Betonaktivfeld, auf dem neben den Hauptsportarten: Basketball und Badminton auch Inlineskaterinnen ihre ersten schmerzhaften Erfahrungen mit dem harten Untergrund machen, die Exotic pur! Schnell sind wir unser Spielzeug los und widmen uns in voller Konzentration der Verdauungswahrnehmung. Müde nach dem ersten Radreisetag seid Ankunft in Kashgar, ordnen wir eben noch die Taschen und fallen anschließend zu Bett, während zwei Zimmer weiter, drei Amerikanerinnen zum dritten Mal den gleichen Blockbuster auf DVD anschauen.

Am nächsten Morgen, ein Plan kann man es nicht nennen, mehr ein Gefühl oder innerer Wunsch, die tibetische Region auf dem Hochplateau zu besuchen, entschließen wir uns in Richtung Kangding aufzubrechen. Erstes erklärtes Ziel, fünf Tage entfernt, mit dem Wissen um die weit über 4000 Meter hohen Pässe im Land dahinter und der zeitlichen Spanne, die uns bleibt um in Shangri-la unser Visa zu verlängern. Mit ein paar Zeilen und bleiernen Bildern danken wir Moritz, den wir gerne kennengelernt hätten und überreichen der amerikanischen Rezeption den Zimmerschlüssel.

Der dunstige Kessel ist auch in Pengshan Alltag, Sonne scheint es nur in homöopatischer Dosierung zu geben. Über Reisfelder verlassen wir gen Westen die Tiefebene, vorbei an kleinen Gemeinden die sich ganz dem Mandarinen- und Orangenanbau widmen. Die Zeltplatzsuche gestaltet sich im neuen Gelände ungeübt schwierig, mit glücklichem Riecher, stellen wir bei „Dämmerung“ das Zelt in den Hang auf ein nicht bepflanztes Terrassenfeld, weit oberhalb der Landstraße. Buschbohnen mit gerösteten Erdnüssen, mit in Sesamöl gedünstetem Knobi. Dazu Nudels und baumfrische Orangen zum Nachtisch!

Am frühen Morgen: Planänderung! Von Ya‘an dem heutigen Zielort, soll uns der Bus nach Kangding bringen. Geht dieser Plan nicht am selbigen Tag auf, tritt automatisch Plan Spontan in Kraft, welcher ein billiges Hotel vorsieht um am kommenden Tag in die deutlich höher gelegene Stadt im Bus zu brummen. Als wir nach schneller, anstrengender Fahrt in Ya‘an eintreffen, regnet es bereits seit zwei Stunden durch die Klamotten. Der Bus fährt selbstverständlich erst tags drauf, die Fahrräder kosten extra und die günstigen kleinen Gästepensionen weisen uns auf Grund der ihnen fehlenden Lizenz ab. Mit heißer Nudelsuppe unter der Nase prasselt der Regen auf die blecherne Dachkonstruktion der Suppenküche. Planänderung! Mit etwas Nudels und Frust im Bauch radeln wir im Nass der Straße stadtauswärts. Hinein in das Tal der G318, die massiven Ausbau- und Erweiterungsmaßnahmen ausgesetzt ist und gleich zu Beginn, beeindruckend in die Berge steigt. Dieser Verkehr, dieser Dreck! Und die Hänge so steil, das an zelten nicht zu denken ist. Nach zehn Kilometern erreichen wir Duogong. Ein Dorf, das es wohl vor einem Jahr so noch nicht gab. Jedes Haus ist neu! Seitensträßchen, Parkanlage und stets wird erweitert. Ausreichend Fläche ist vorhanden, weshalb wir im Halbdunklen, nicht lange diskutieren sondern direkt den Park ansteuern. Gleich werden wir beäugt, mit einer handvoll Schlafgesten klärt sich, dass wir hier eine Nacht schlummern. Das tun wir auch, aber erst nachdem der Google-Translater mit Hilfe einer Familie in Parknähe ein günstiges Zimmer für die Durchnässten arrangiert und Leonie ihre Füße vollends im heißen Schüsselwasser quellen lässt.

Der nächste Tag: von Oben trocken, von Unten schlammig, matschig. Durch tiefgreifende Bauabschnitte, in denen Kies und Schlamm in breiiger Konsistenz, an Rädern, Taschen und Radlern anhaften, geht es den ganzen Tag stetig bergauf. Das Tal an sich wunderschön, auch die Straße, abgesehen vom zeitlich befristeten Ausbau, kein immenser Störfaktor! Möglichkeiten das Equipment mit einer druckvollen Schlauchdusche zu reinigen ist in jeder kleinen Ortschaft möglich. Doch der neue, über uns schwebende, vierspurige, im Bau befindliche Highway stört die Natur empfindlich ins Mark. Das Projekt entsteht im Rahmen der Kampagne „China goes West!“ Die überbevölkerten Städte an der Ostküste sind dem Kollaps so nahe, das die Chinesen mit attraktiven Schnellstraßen, die brutal durch poröse Berge gerammt und anschließend kilometerlange Flusstäler überbrücken, in die dünner besiedelten Provinzen gelockt werden. (Mehr zu diesem Thema unter: „Mit offenen Karten“ ein geopolitisches Magazin von Arte und Co. zu finden bei Youtube, auch zum besseren Verständnis anderer geopolitischer Fragen.)

Als der Schwerlast- und Personenbeförderungsverkehr abebbt, weil er sich an einer Engpassstelle wieder einmal festgefahren hat, ein LKW Ladung auf der Straße verteilt hat oder Baggerarbeiten Vorrang haben, duschen wir gerade die Räder um diese von Betonresten zu befreien, als uns zwei chinesische RadlerInnen freudig begrüßen. Wir befinden uns, das habe ich noch gar nicht erwähnt, auf der von 96% der chinesischen TourenradlerInnen bevorzugten Strecke, auf dem Weg nach Lhasa in Tibet. Auch die Beiden sind begeistert über den Dreck in jeder Ecke der Klamotte und so teilen wir einige Stunden und eine kleine Rast auf dem gemeinsamen Weg, bis wir am Wegrand kampieren und die Beiden weiter Richtung Hotel radeln.

Am letzten Teilanstieg des nächsten Tages treffen wir die Beiden wieder. Bereits hier quälen sie sich in den Tag, mit dem Wissen, dass etwa zehn 4000er Pässe und knappe 2500 Kilometer auf dem Weg zum Potala auf sie warten. Mit etwas Glück findet Leonie Platz im Rapid Dreiradpickup und ich einen rasanten Lift am Heck eines LKW, sodass wir früher als erwartete auf sonniger Höhe die letzten Meter durch den Tunnel zum Pass radeln. Kangding rückt heute ein großes Stück näher. Staunend und konzentriert fliegen die vielen Kurven, die sich den Berg hinunterwinden an unseren vom Fahrtwind tränenden Augen vorbei. In Luding, der Stadt im Tal, fahren wir zu unserer Freude in die nächste Großbaustelle. Heben, Tragen, Schieben, geschafft. Weiter vorbei am Stausee und nach vergeblichen Mühen für einen per Anhalter Transport für die letzten 25km bergauf, schlafen wir nach einer engagierten Diskussion um den persönlichen Einsatz für einen Hitchhike und der verschwendeten Zeit die uns radelnd deutlich näher an unser Ziel gebracht hätte im Acker hinter dem Dorf, geschützt vom Verkehr hinter einer vier Meter hohen Mauer.

Teils LKW liftend, teils radelnd erreichen wir gegen frühen Mittag Kangding. Gestresste Muskeln und Leonies Nerven werden an den Massagerollen eines öffentlichen Fitnessparks weicher und gelassener. Im Hostel Zhilam, das wir über den kurzen, aber krass steilen Weg durch die Nischen der Häuser mit letzter Puste und trommelndem Puls erklimmen, genießen wir ein kleines Stück tibetisches Flair. Meine Zeit verbringe ich mit Rad- und Taschensäuberung, dann geht‘s zusammen hinunter in die Stadt. Das Busticket nach Litang und Proviant für die nächsten Etappen muss besorgt werden. Auf dem Rückweg der Genuss des großen Stücks Buddhismus in Form des Tempels Nanwu. Zusammen mit Sara ihrer Freundin, den beiden Finninnen, die wir bereits am Grenzübergang getroffen haben und Naomi aus Belgien steigt die Tanzparty auf dem Peoplesquare, wo ca. 100 tänzelnde Stadtbewohner zu schneller asiatischer Musik, die über den großen Platz in Mitten der Stadt vibriert, in synchroner Perfektion Arme, Körper, Hüften und Beine elegant und rhythmisch bewegen. Zu Hause würde man Volkstanzflashmob sagen, hier und in vielen anderen Städten, findet das jeden Abend zu Sonnenuntergang, allgemeine Beliebtheit in allen Altersstufen. Angesteckt von der schwungvoll positiven Stimmung, tänzelt die Gruppe von Suppenküche zu Suppenküche, bis letztlich alle Suppe essen und zufrieden hinauf zum Hostel wandern und der bunt leuchtenden Stadt gute Nacht sagen.

Mit unruhigem Schlaf in den Knochen sitzen wir um neun Uhr morgens im Bus. Taschen und Räder im Gepäckraum gut plaziert, in der Annahme das weitere Gepäckstücke der Mitreisenden eine Fläche selbstsichernder Ladung ergeben. Doch entgegen der Erwartung eines voll besetzten Busses, nehmen wir mit nur 12 weiteren MitfahrerInnen Platz, die jeweils nur leichtes Handgepäck mit in den Bus nehmen. 290km, 8 Stunden Fahrzeit lassen entweder auf eine lange Pause, massive Straßenschäden oder lange Bauabschnitte schließen, so wie wir sie bereits kennengelernt hatten. Es hilft nichts, während die Gedanken kreisen, schließen die Türen und der Fahrer setzt zum Motorstart an. Auf halber Strecke denke ich mir, alles halb so wild, die tibetischen Häuser, Yaks und bunte Gebetsfähnchen, als hätten wir eine Landesgrenze passiert, so sanft wirkt die Gegend. Doch dann ändert sich die Pistenqualität schlagartig! Genauso! Es setzt Schläge, das der Bus jeden Moment von der Straße zu springen scheint. Die Insassen haben Mühe sich in den Sitzen zu halten, Handgepäck rutscht und kullert auf und ab, mit dem Blick zu den Rädern die Stahl auf Stahl aufeinander liegen, setzt es mir ununterbrochen schmerzhafte Hiebe. Ein Ende ist nicht in Sicht! In Gedanken zähle ich bereits die Einzelteile, die wir bei der Ankunft in Litang wohl vorfinden werden! An einer Raststätte mit einer neuen Art Toilette, die einem Kuhstall ähnelt, die mittig eine Fäkalrinne durchzieht, die ständig mäßig durchwässert wird, lässt Position eins oben am Gefälle zwar keine Privatsphäre, da jeder Toilettennutzer den Blick in die offene Kabine wirft, doch alle weiteren Kabinen, keine bietet Blick- oder Sichtschutz, hat den Spaßfaktor, die Quantität wie Qualität des Produzenten an den Positionen vor ihr/ihm zu bewerten und bei Bedarf mit dem eigenen Produkt abzugleichen, was Kabine eins erspart bleibt. Einen Yuan kostet das Erlebnis, das mit dem schnellen Blick auf die Räder, die die Rumpelfahrt gut verkraftet haben zu scheinen, ein großes Stück Erleichterung bringen.

Es ist 17:00 als wir den Busbahnhof in Litang erreichen unter interessierten Blicken die Räder montieren, das Gepäck aufladen und im ehemaligen Potala Inn einchecken. Mit uns sind Naomi und Atsushi aus Japan Gäste im Gemeinschaftszimmer für eine Nacht, die Schnee und Winter in die Stadt bringt. Mit Naomi transferieren wir 100$ in 630元, kurz sind noch japanische Luxustoiletten im Gespräch, dann wird es still und unter der dicken Decke muckelig warm. Die Geburtsstadt des 7. Dalai Lama verlassen wir gleich am nächsten Morgen nach leckerem Frühstück aus Tsampa, Buttermilchtee und Potata Momo. Im Schatten liegt der Frost noch auf den Gräsern, während die Sonne langsam durch den Nebel leuchtet und die Häuser hinter uns kleiner werden.

  4 comments for “Chengdu – Litang (23. – 31.10.)

  1. Steuerbüro Meyer & Partner
    20. Dezember 2015 at 9:31

    Hallo,
    ihre Mutter, eine unsere tollen Mitarbeiterinnen, hat mir an unserer Weihnachtsfeier am 18.12.2015 von Ihrem tollen Trip berichtet.
    Mit großer Aufmerksamkeit und Freude, habe ich Ihren bisherigen Verlauf verfolgt. Wir wünschen Ihnen weiterhin eine unfallfreie
    Fahrt und tolle Erlebnisse. Wir sind sehr gespannt was Sie alles noch zu berichten haben.
    Das Steuerbüro Meyer & Partner, wünscht weiterhin pannenfreies Fahren,
    mit den allerbesten Wünschen, frohe Weihnachten und kommen Sie gesund in das neue Jahr 2016, egal wo Sie sich im Moment aufhalten.
    Harald Meyer

    Harald Meyer

    • Philleo
      24. Dezember 2015 at 4:45

      Hallo Herr Meyer!
      Vielen Dank für die guten Wünsche! Wir freuen uns und sind immer wieder erstaunt darüber, wieviele Menschen zu Hause doch unsere Reise verfolgen.
      Auch wir wünschen Ihnen frohe Weihnachten und einen guten Start ins neue Jahr!
      Viele Grüße
      die Weltradlenker

  2. Jürgen
    19. Dezember 2015 at 21:25

    Hallo, ihr 2!
    Wie schön eure Bilder und Berichte sind!
    Radelt schön weiter und habt wenig Pannen und mögen eure Planänderungen immer Gutes bringen!
    Jürgen

  3. Johannes-Peter
    9. Dezember 2015 at 18:17

    Danke, ich geniesse eure Reiseberichte und Bilder…,
    gute Reise
    Johannes-Peter

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