Der Pamir-Blockeintrag: Aus dem Dreitageszug, durch das weite China herausgeschrieben aus dem Etagenbett „Upperclass hardsleeper“:
Schwer bepackt verlassen wir die Stadt zur Mittagszeit, tanken an der letzten Petrolstation ein letztes Mal Pressluft um mit sanftem Gefälle über grandiosen Asphalt zu summen. Freude und Neugier liegt im Wind vor uns. Es sind knappe 130km über die M41, bis zur Weggabelung der A372 an der wir uns mit Marco & Tiphaine verabredet haben. Vorbei an Ständen, Gärten, kleineren Dörfern, überall im Tal wird geerntet. Die Familien arbeiten gemeinsam auf den Feldern und gleichzeitig am Verkaufsstand. Sie winken, lachen und rufen meist laut „Adkuda?“, wenn wieder einmal Radfahrer anhalten oder sie passieren. Nach ca. 20km kurz bevor wir den tiefsten Punkt im Tal erreichen und als nächstes den Fluss queren, erkennen wir Paul (vermutlich 29) und Leiset (27), die Australier. Die mit ihren Tourenrädern im Schotter neben der Straße stehen und die neu erworbene Karte aus Vero’s zu Hause studieren. Ein knuffiges frisch verheiratetes Päärchen mit viel Humor, pragmatischen Ideen und der Liebe für’s Limit, was im Wesentlichen die „ausgewogene glutenfreie Küche“, für Paul den C2-Konsum und für Leiset den O2-Kosum anbelangt. Nach gemeinsamem Mittagessen radeln wir in die ersten Hügel, an denen das Gewicht der Räder zur unangenehmen Realität wird. Es wird für das Abendessen noch eine Melone und ein Butternutkürbis aufgeladen, denn so ganz können wir uns nicht von den Kochabenden in Dushanbe trennen. Lightweighttouring sieht anders aus und fühlt sich vermutlich auch anders an. Auf einem Hügel, mit Blick auf die Felder und Höfe die hinter uns liegen werden bei Sonnenuntergang, Zelte gestellt und gemütlich im Gras Nudeln mit Kürbissauce gekocht.
Gut erholt starten wir in den nächsten Tag mit der Idee, den Treffpunkt an der Weggabelung gegen Abend zu erreichen. Es wird am Ende ein langer Tag werden. Noch am Vormittag wächst die Gruppe um das amerikanische Radduo Kyla & Didier, die mit weniger als der Hälfte des Gepäcks unterwegs sind, vergleicht man dieses mit unserem! Beide sind im Mai in Portugal gestartet und mit nur sieben Ruhetagen Nonstopp nach Dushanbe gedüst. Die Visa-deadlines machen es möglich! Auch auf dem Pamir sind beide mit 60km/Tag stramm unterwegs. Dafür packen sie bei jeder Rast ihre bequemen Sessel aus, was uns immer wieder staunen und die Beiden schmunzelnd relaxen lässt. Es wird gemeinsam viel gelacht, Kochideen werden ausgetauscht und gerastet. Es dämmert bereits als wir in Roghun einem im Hang und Steilhang gelegenen Dorf nach Lebensmitteln fragen. Die Qualitätsschotterpisten haben uns da bereits lange verlassen, der Gedanke die Gabelung an der M41 heute zu erreichen ebenfalls. Etwas schüchtern fragen wir noch zweimal nach Zeltplätzen im Garten der Einheimischen, fahren dann jedoch weiter und finden im Dunkeln einen für die späte Stunde sehr attraktiven Platz unter Bäumen mit schummrigem Blick auf den im Tal fließenden Fluss und das fahl beleuchtete Dorf gegenüber des Seitentals.
Es ist bereits kurz vor Mittag als alle den Polizeicheckpoint an der Gabelung passieren, von Tiphaine & Marco ist nichts zu sehen! Die „Straße“ wird abermals beträchtlich schlechter, 250km sind es von hier bis Khorough, hoffentlich halten die Taschen, das Rad und der Gepäckträger das aus?! Plötzlich, die Gruppe ist noch keinen Kilometer von der Abzweigung entfernt, dröhnt eine Hupe laut und wild über den Schotter. Die Gruppe ist komplett: Acht RadfahrerInnen, international, in einer Altersspanne von 22 bis 29 Jahren, bepackte Paare auf dem Weg nach Kirgistan. Witzig, alle sind sich auf dem Weg mindestens einmal begegnet! Der Spaßfaktor steigt bis zum Limit, die Australier nutzen pragmatisch den Schatten zum Mittagessen und vier Kilometer weiter ein Wasserbecken um Klamotten und Geruch zu schrubben, die Amerikaner genießen die Gruppenatmosphäre und das entschleunigte Radeln, der europäische Süden unterhält die Runde mit Fragen zum Lightweighttouring und der Philosophie italiänischer Tourenräder, die südwestlich geprägten Hunsrücker gehen auf, in einem großen Kreis von Freunden und köstlichen Charakteren, die uns so sehr an unsere Freunde aus der Heimat erinnern. Am Ende des Tages erreichen wir eine Tagesdistanz von 32km, welche einen zukünftigen amerikanischen Tag, auf 92km heftiger Rumpelstrecke wachsen lässt! Als vier Zelte auf großer Ebene stehen, die Wasserträger aus dem Dorf zurückkommen und im großen Kreis Gemüse geschnippelt wird, trifft ein weiteres Paar Joachim (50) & Ulrike (49) aus Hamburg auf dem Campground ein. Beide bestens ausgestattet, auf Idworx Offroler Rädern unterwegs, das zukünftige Traumrad unseres Italieners! So ganz von alleine wollen sie sich nicht in die Gruppe drängen, zumal eines der Räder, so lässt es aus der Ferne an, unangenehme Geräusche aus dem Bereich des Tretlagers von sich gibt. Nach ersten Fern- und Fremddiagnosen erweitert sich der Abendessenkreis um zwei Joghurt mit Müsliesser.
Paul zeigt sich im direkten Sinne von seiner direkten Seite und startet die Konversation mit den Wörtern die ihm aus dem Deutschlandaufenthalt in Erinnerung geblieben sind und ihm als passend von den Lippen gehen. „Ah from Hamburg! Fischköpp!“ Die Mienen der Beiden wackeln ein wenig. What’s your destination? (Wo soll‘s hingehen?) „Nach Parkistan! Über den Karakumhighway, gerade sieht es aber mehr danach aus als endet unsere Reise hier, unsere Fahrräder sind kaputt!“, antwortet Ulrike. Joachim rollt ein wenig die Augen und legt die Stirn in Falten. „Where is your stove man?“ schießt Paul hinterher, etwas verwirrt das er diesen nicht röcheln hört. „Abends essen wir Müsli“ entgegnet Ulrike. Die Beliebtheitsskala vergibt heute Abend keine Noten. Langsam nehmen wir die Töpfe vom Feuer und fangen ebenfalls an zu essen. Es duftet und es wird ruhiger um das Essen. Hmm! Jeder/Jede hmmt! Es ist Neumond, die Milchstraße ist hoch frequentiert und es entstehen vor dem ins Bett gehen, Bilder der leuchtenden Zeltstadt an einem wunderschönen Abend.
Am kommenden morgen löst sich die Gruppe auf! Es entsteht folgende Reihenfolge: Hamburg, USA, SSW-Hunsrück, AUS & Südeuropäer. Zum gemeinsamen Mittag, holen wir Kyla und Didier am Checkpoint vor Tavildara ein. Die Jungs vom Checkpoint reichen Brot und Plov, so wird aus dem spärlichen Einkauf im Dorfladen ein ansehnliches Essen für vier. Die Hoffnung, die anderen gleich um die Ecke biegen zu sehen, bleibt unerfüllt. Individuelles Tempo bringt uns an diesem Tag 58km weit. Am Ortsausgang von Kala-i-Hussain bekommen wir am Hoftor einen Brotfladen von 1m Durchmesser und eine handvoll Äpfel gereicht, paar Meter weiter sehen wir zwei Gestalten springend winken, als wir näher kommen sind Kyla und Didier bereits am Kochen, Joachim und Ulrike sind eifrig am Zeltplatz suchen. Der Abend geht früh in kleiner Runde zu Ende, vor uns liegt der erste Pass auf 3252m Höhe. Mit reichlich Müsli im Bauch geht es am Morgen Richtung Anstieg. Die ersten zwei Kilometer sind schweres steiles Gelände, die leichten Räder aus den Staaten klettern im stetigen Tempo den Berg empor, die Hunsrücker haben da bereits bedenken, ob sie den Pass überhaupt am Nachmittag erreichen können. Glücklicherweise ändert sich Qualität und Neigungswinkel zum angenehmen Schwitzen und so erreichen wir kurz nach 13:00 den Scheitelpunkt mit Kyla und Didier, dicht gefolgt von Christian und Katrin aus der Schweiz, die ebenfalls ToutTerrain radeln. Kurzer Lunch, Kälte, Magen und Kopfschmerzen meinerseits wehren den Appetit erfolgreich ab, dann geht es durch eine schroffe Schlucht hinunter ins enge Tal. Die Bremsen glühen die Augen tränen und die Räder müssen zielsicher mit voller Konzentration über die miserable Abfahrt gesteuert werden. In Qal’ai Khumb trifft die Straße zum ersten Mal auf den Grenzfluss Panj, der Tadschikistan und Afghanistan für ca. 300km entlang der Südgrenze im Wakanvalley trennt. In der Kleinstadt trifft zudem die südliche Route von Dushanbe ein, die der Schwerlastverkehr bevorzugt. Die erschöpften Radler checken im Gästehaus, nach Querung der Brücke, rechts am Fluss gelegen ein. Wir fragen mehrfach ob das Abendessen und Frühstück üppig ausfällt, da alle ziemlich ausgebrannt sind, doch als nach einer Suppenschüssel nichts Gehaltvolles nachkommt, klären wir mit der Küche den Energiebedarf der weit über der Suppe liegt. Gesättigt gehen wir zu Bett mit Gedanken an den Rest der Gruppe, die wir einen Tag hinter uns vermuten.