Khorough – Murghab (16. – 27.09.)

Der Bazar vor Ort ist die letzte variantenreiche Versorgungsquelle bis ins 10 Tage entfernte Murghab, wieder wird das Rad zum schwer manövrierbaren Schlachtschiff und am Morgen des 16.09.2015 nehmen wir Kurs auf, zur südlichsten Spitze Tadschikistans. Zwei lange Tage auf den Rädern und am Ende duftet die Küche nach frischem… Zwiebelkuchen, eine Attraktion der kulinarischen Art für alle Nichthunsrücker vor Ort. Hmmm und ne Flasche Bier. Der Bazar in Ishkashim hält was er verspricht. In kleinen Kaschemmen rotten Möhren und Kartoffeln vor sich hin. Zwiebeln gibt es reichlich Paprika ist aus. Der Stretch von Ishkashim nach Langar ist landschaftlich grandios. Der Blick auf den mit Schnee bedeckten Hindukusch, die spektakulären 6000er Berge mit ihren zackig, steilen Hängen und links von uns Karl Marx (6723m) & Engels (6507m) lenken von den Wellblechpisten ab. In den Dörfern wird das Getreide knieend, mit Handsensen geschnitten, zum Trocknen zu Ehren zusammengebunden und anschließend mit 2er, 3er oder bei Bedarf, mit 6er Ochsengespannen „gedroschen“, besser zerstampft. Bis Murghab sind wir nun mit den frisch Verheirateten unterwegs, was wir sehr genießen. Die täglichen Unterhaltungen, das gemeinsame Kochen, Reisegeschwindigkeit zwischen 25-45km/Tag und die sagenhafte Atmosphäre kommt uns sehr entgegen. An einer heißen Quelle, die geschützt im Flussbett zum Aufheizen einlädt, spenden wir den Vormittag bei Red Hot Chili Peppers und quellen die trockene Haut im angenehmen Nass, während draußen der Wind mit Druck durch das Tal weht. Gerade sind wir im Begriff zu gehen, da springt die Tür auf und Tom der Belgier saust quasselnd, in Erwartung Sarah und Scott anzutreffen in die heiße Quelle. Er hatte vor Tagen gehört das Australier vor ihm pedalieren, seit dem rumpelt er ohne nennenswerten Halt ca. 100km/Tag durch das Wakan. Das er nicht Sarah und Scott antrifft spielt für ihn plötzlich keine Rolle mehr. Nackend gibt er uns zu verstehen, dass wir doch weiterfahren sollen, er wird uns in Kürze einholen. Mit dem Wind geht’s weiter über staubig, steiniges, schlotterndes Buckelruckelwellblech. Innerhalb windgeschützter Steinmäuerchen in wärmender Sonne picknicken wir und werden sogleich von Tom beglückt. Von zu Hause ist der junge Bursche losgefahren, 3€ Tagesbudget, für eine Unterkunft, das ist eine seiner Herausforderungen, hat er noch nie gezahlt. Er blüht auf in der Runde, erzählt von Grenzerfahrungen, Erschöpfung, dass er sich den Pamir in weniger als 20 Tagen gibt und mit ein paar Keksen, Marmelade und einem Packen Nudeln bis nach Murghab radeln will. Innerlich denken die Zuhörer alle das Gleiche! Im letzten Ort vor Langar, der den letzten Laden markiert, raten wir Tom sich etwas mehr Puffer an Proviant einzupacken, aus einem Nudelpacken werden zwei und seine Keksreserven werden um 250g aufgefüllt. Über sechs Serpentinen steigt die Straße hinter Langar in 8km über 700 Höhenmeter. Das Ganze mit Gepäck, schwierig zu klettern, bringen wir es meist schiebend auf die erste Kuppe in einem bewohnten Gebiet, in dem wir die Zelte stellen und für Tom’s Verhältnisse extrem aufwendig anfangen zu schnippeln und zu Kochen. Tom benutzt seinen Kocher diesen Abend zu ersten Mal, selbst der Sprit in der Flasche ist noch aus Belgien, bis jetzt hat er sich immer einladen lassen, oder Kekse gegessen! Innerlich… Ihr könnt‘s euch denken Die Nudeln sind schnell gekocht, (das Wasser-Nudel-Verhältnis muss allerdings bei den Mitreisenden erfragt werden) und verspeist, da ändert sich plötzlich der Farbzustand und die Verfassung des Guten. Erst vornehme, dann ungesunde Blässe mit halbseitigem Wahrnehmungsverlust, grenzerfahren lässt er uns teilhaben an den Einzelheiten der persönlichen Verfassung ohne auf Tipps und Radschläge zu hören sich langsam hinzulegen. Er strauchelt dann zu Boden und beschließt nach 15min den Schlafsack im Zelt aufzusuchen. Gut möglich, dass das Essen auf der Hochzeit aus vergangener Nacht für einen Keksmagen nicht das richtige war. Wir bieten noch unsere Hilfe aus der Apotheke an, doch Ruhe und Schlaf ist aus unserer Erfahrung erst einmal das Beste. Zum Nachtisch gibt es Milchreis mit frisch gekochtem Apfelmus. Zimt und Zucker rieselt aus den Fingerspitzen auf das seltene Dessert, da hören wir einen hektischen Reisverschluss sich öffnen und sogleich schießt eine druckvolle Fontaine mit allem was dazugehört auf den staubigen Eingangsbereich direkt zwischen Fahrrad und Zelthering! Gefolgt von würgenden Sätzen aus Wort- und Essensbrocken, ergibt sich folgende Einwegkonversation: Oorrhg! I’m feeling so good! I was waiting for it! So nice that I was fast enough to open my tent, Oorrhg! I never was womitting so much in my life, it’s so good! Etwas erschrocken und abwartend sitzt der Reisbrei vor uns. Tom begibt sich wieder in die Horizontale und wir etwas perplex, genießen unseren Nachtisch während wir womöglich das Gleiche denken: Eine Nudelpackung unverwertet weniger und Beratungsresistenz zum falschen Augenblick.

Am nächsten Morgen sieht es um Tom miserabel aus. Zusammen kämpfen wir uns durch den Tag und beenden diesen, 25km später, während die Sonne langsam untergeht und es empfindlich kalt wird. Glücklicherweise hält ein einheimischer Jeep an der Zeltstätte, dem es an Luft im Reifen fehlt und den Gebrauch der Fahrradpumpe im Tausch gegen 3 Fladen Brot eintauscht. Schwein gehabt! für Tom, der das Brot gut gebrauchen kann. Im Abendrot winkt uns der Hindukusch ein letztes Mal in voller Pracht zu, dann schnürt die Gruppe die Schlafsackmützen und jeder/jede kuschelt sich ins Zelt. Pauls Filterskala scheint des Nachts rapide abzustürzen, was den unangenehmen Kontrollverlust um 04:30 und den frühen Aufbruch der Beiden erklärt.

Wir finden die Beiden bei trocknender Wäsche an einem kleinen Bachlauf, wohlauf und bereits wieder scherzend bei Kohletabletten und Frühstück. Tom scheint die fehlende Bereitschaft unser gut kalkuliertes Essen aus Khorough zu teilen und seine wenigen verbleibenden Mahlzeiten zu spüren. Er verlässt uns mit der Idee, den vor uns liegenden Pass heute zu queren. Er wird das Glück haben, auf Clément und Matthieu zu treffen, die ihrerseits gewillt sind, ihren weit gefahrenen Proviant zu teilen. Doch selbst hier hinterlässt er einen bleibenden Eindruck.

Zu viert radeln wir in zwei Tagen über den besagten Pass (4344m) und hinunter Richtung M41, auf der wir für drei Kilometer das Gefühl von Asphalt feiern. Mit der Vorstellung über eine kleine Extra-Schleife an einer versteckten heißen Quelle mit den letzten Essensrationen zu chillen rattern wir über Schottertracks weiter bergab, bis der Hinterreifen bei Felgenbodenkontakt platzt! Kurz darauf schlagen wir die Zelte auf. Die GPS-Daten für den hidden Spot stammen von Eric und Charlotte die wir später in Kashgar treffen, die die Daten durch Zufall von Claude Marnthaler erhalten haben, den sie ihrerseits nach dem zufälligen Besuch in Frankreich im Pamir in der Nähe der Shirgin Hotspring ein zweites Mal treffen und den Tipp seit zwei Wochen in Umlauf bringen. Der Ort der Ruhe und des heißen Wassers ist wunderschön! Nahe eines Bachlaufs den man nach spätestens 20min aufsuchen muss, da einem sonst die Hitze durch den Kopf steigt, begegnet uns ein Yak und zur Enttäuschung für Paul keine Grashüpfer zum Angeln. Schnell verkraftet, genießen wir die Ruhe und das plätschernde Rauschen des Bachlaufs, bis wir die Wooden-Box unterhalb des Plateaus am nächsten Tag verlassen.

Alichur, der nächste Ort mit kleinem Laden an der M41, ist knappe 35km entfernt. Es geht auf und ab steile Kletterpassagen, dachsteile Abfahrten durch atemberaubendes Gelände das Bachquerungen und einen sagenhaften Blick auf Marx und Engels miteinschließt. Es ist 16:30 als wir über eine Steinpiste den etwas leblosen Ort erreichen und beschließen den drückenden Rückenwind und den Asphalt Richtung Murghab zu nutzen. Die Nacht ist kalt und windig, doch als wir am nächsten Abend in Murghab in Eralis Guesthouse ankommen und die heiße Dusche auf uns hinunterplatscht, ist alles heile Welt.

Die Essenstaschen sind bereits prall gefüllt, für den Streckenabschnitt Murghab – Sari Tash, welches in Kirgistan liegt, die Stimmung im Essensraum ist spassig und familiär zusammen mit unseren Mitreisenden, einem Powerpaar aus Polen und einem dänischen Päärchen.

Als wir nach einem Tag Pause Murghab verlassen, verlassen wir gleichzeitig Paul und Leiset, die auf dem Bazar ihre Vorräte auffüllen müssen, nicht denkend, dass wir sie erst in Osh wiedersehen.

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